Donnerstag, 8. Juni 2017

Lauke - Karnickel, 07.06.2017

Also doch noch eine Komödie nach einer humorarmen Spielzeit? Nicht wirklich, herzhaft lachen wird in Karnickel niemand, wer auf Pointenjagd gehen will, bringt keine Beute nach Hause, auch nach sechs Jahren fehlt am Karlsruher Schauspiel eine rasante Komödie. Karnickel ist aber zumindest eine gelungene Wohlfühlkomödie - ein wenig Drama, ein wenig vorgetäuschtes "echtes" Leben, ein wenig Typen und Charaktere, ein wenig Situationswitz, musikalisch untermalt und ein schnelles, versöhnlich wirkendes Ende, obwohl nichts geklärt ist - das alles ist so konventionell und berechenbar, daß man Karnickel auch als Retro-Komödie bezeichnen könnte, die mit Blick auf eine öffentlich-rechtliche Verfilmung geschrieben wurde, irgendwann mal am Mittwochabend von 20:15 bis 21:45 mit ein oder zwei halbwegs bekannten Schauspielern wird das dann vielleicht in ARD oder ZDF für ein Zielgruppenalter 40+ ausgestrahlt. Doch das soll keine Wertung sein, denn die Inszenierung ist kurzweilig und unterhaltsam mit engagierten Schauspielern.

Worum geht es?
Professor Robert Brendel gehört zum wohlhabenden und privilegiertem Linksbürgertum mit eigenem Haus, sicherem Job und sorgenfreien Verhältnissen. Er kann sich sein Weltbild finanziell leisten, doch Brendel wird von der Realität eingeholt:
  • seine Frau Ina wurde vor seinen Augen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verprügelt und stellt das weitere gemeinsame Zusammenleben in Frage. Ina verbringt ihre Freizeit lieber in einem Kulturzentrum, wo sich die Sozialarbeiterin Matschke in einem Opfer-Täter-Dialog um sie kümmert und ihr nebenbei Bauchtanz beibringt.
  • Brendels angepeilte berufliche Führungsposition als Institutsleiter wird nicht an ihn, sondern an eine Kollegin mit Auslandserfahrung vergeben, die ihm Rahmen einer Umstrukturierung den Posten übernimmt. Brendel wird als Gastprofessor ausgemustert.
  • Brendels Vater ist dement und orientierungslos und bedarf der häuslichen Pflege, denn ein Platz in einem Pflegeheim läßt sich nicht finden. 
  • Brendels Sohn ist das Opfer einer antiautoritären Erziehung, ein Versager, der sich aushalten läßt, als Figur ein ständiger Vorwurf an seinen Vater. Er taucht unvermutet mit seiner schwangeren Freundin zu Hause auf
Beruflich und familiär scheint für Robert Brendel alles den Bach runter zu gehen. Einst hatte er eine erste mißglückte antiautoritäre Befreiungsaktion durchgeführt: er befreite ein Karnickel aus dem Käfig, das daraufhin von einem Hund tot gebissen wurde. Nun fühlt er sich durch sich selber gefangen. Er wollte alles richtig machen und doch scheint ihm nichts gelungen.

Was ist zu sehen?
Regisseur Florian Hertweck scheint sich für eine Verfilmung als Regisseur empfehlen zu wollen, die Kamera ist ein wichtiges Hilfsmittel, es gibt einen filmischen Vor- und Abspann und auch sonst ist die Live-Kamera oft an, neben der sichtbaren Bühne gibt es über die Leinwand eine zweite Ebene, die Vorder- und Hintergrund ermöglicht. In manchen Szenen sprechen die Schauspieler direkt in die Kamera, der starke André Wagner hat eine wunderbare Szene, in der er angetrunken in einer Kneipe versucht sich eine Zigarette anzuzünden und in die Kamera spricht, besser gesagt doziert, irgend etwas Unverständliches über Siegfried Kracauers Filmtheorie. Das Publikum hat dabei den Eindruck, neben ihm zu sitzen - eine verblüffend gute wirkende Rauschszene. Hertweck hat viele gute Einfälle, er erarbeitet die Szenen und Stimmungen mit souveräner Hand und kombiniert Klamauk und situativen Witz, Musik, Gesang und Tanz zu einem harmonischen Theaterabend. Doch eines kann auch er nicht ändern: als Komödie ist Karnickel berechenbarer Durchschnitt und so sehr dem aktuellen Massengeschmack verhaftet, daß vieles bekannt wirkt. Der demente Opa, der handzahme Professor, die unzufriedene Ehefrau, der nichtsnutzige Sohn und seine schwangere Freundin sowie die rabiate Sozialarbeiterin - es ist nicht das originellste Drehbuch Theaterstück. Und am Ende ist kein Strang wirklich beendet, die Konflikte werden durch einen Vorfall kurz übertüncht, der Abspann zeigt, wie sich Robert um einen neuen Job bemüht - alles scheint gut, nichts ist gelöst, irgendwie geht's weiter im echten Leben.

Erneut muß man alle Schauspieler loben, die dem Abend deutlich Qualität verleihen. Neben André Wagner, dessen Rolle als Professor Brendel von der Regie noch stärker homogenisiert und typisiert hätte werden können, ist das vor allem Lisa Schlegel, sie ist genau die richtige für die Rolle der Ina Brendel, niemand kann das besser spielen. Der demente Vater ist eine Paraderolle für Klaus Cofalka-Adami, der diese Figur schrullig und sympathisch darstellt, Sven Daniel Bühler spielt Brendels Sohn Juri als hypochondrischen Möchtegernmusiker, der sich ständig die Hände desinfiziert. Seine schwangere Freundin Nadja wird sympathisch von Kim Schnitzer gespielt. Schnitzer ist neu im Ensemble und hat einen guten ersten Auftritt in Karlsruhe. Auch die von Ute Baggeröhr gespielte Sozialarbeiterin Matschke ist als Figur noch entwicklungsfähig, ihr fehlt noch ein Attribut, das das Klopapier und das Nachdeodorieren ergänzt.

Fazit: Das war's schon wieder. Das letzte Theaterstück in dieser Saison ist nichts Besonderes, aber durchaus bemerkenswert in der Umsetzung. Und man darf ein allgemeines Lob formulieren: es scheint stark, als ob man am Karlsruher Schauspiel endlich wieder ein Ensemble zusammen hat. Spielfreude und Homogenität des Auftretens haben zuletzt immer überzeugt. Bravo! 

PS: Man darf sich von der mal wieder falschen Beschreibung des Badischen Staatstheaters nicht verwirren lassen. Politisch ist an dieser Komödie gar nichts. Ein Satz wie „Die Hoffnung auf Freiheit und politische Mitsprache ist dieser ebenso amüsanten wie selbstbezogenen Familie endgültig verloren gegangen.“ trifft nicht zu. Um politische Mitsprache geht es nicht und Freiheit ist nicht verloren gegangen, die Figuren wußten nichts damit anzufangen.
 
Besetzung & Team
Robert Brendel: André Wagner
Ina Brendel: Lisa Schlegel
Juri Brendel: Sven Daniel Bühler
Nadja: Kim Schnitzer
Hermann: Klaus Cofalka-Adami
Matschke: Ute Baggeröhr

Regie: Florian Hertweck
Bühne & Kostüme: Mascha Deneke
Musik: Sven Daniel Bühler