Sonntag, 16. Oktober 2016

Donizetti - Der Liebestrank, 15.10.2016

Über die Neuinszenierung von Donizettis Liebestrank am Badischen Staatstheater muß man nicht viel Worte verlieren: die Premiere ist musikalisch und szenisch auf wunderbare Weise gelungen und wurde gestern  verdient begeistert und lautstark bejubelt. Ein Triumph der Sänger und Musiker und derer Spielfreude.
   
Alle geglückten Elesire d'amore gleichen einander, jede mißglückte Inszenierung ist auf ihre eigene Weise mißglückt.
Donizettis Liebestrank scheint auf der Bühne unverwüstbar, man könnte fast sagen, daß sich viele Inszenierungen trotz Unterschieden stets auf eine Weise ähneln, daß man von einer Variation sprechen könnte, wobei die Variationen durchaus große Spannbreiten haben: Robert Tannenbaum inszenierte in Karlsruhe 2005 Donizettis Oper in einer Schule, Rolando Villazón (mehr hier) im Festspielhaus (2012) an einem Film-Set in Hollywood, nun spielt sie in einem Bahnhof, damals war Adina eine Lehrerin, in Baden-Baden eine Schauspielerin, nun besitzt sie ein Zeitungskiosk, damals war Nemorino eine Reinigungskraft, bei Villazón ein Komparse, nun ein Müllmann, vor 10 Jahren war man in den USA zur Zeit des Pettycoats, im Festspielhaus in den USA zu Zeiten des Stummfilms, nun im Hier und Heute. Entscheidend ist etwas anderes: jede geglückte Inszenierung ist übermütig, überbordend und überraschend in den Details, im Ideenreichtum, den Überraschungen, den humorvollen Szenen und mit liebenswürdigen Personen. Der Liebestrank muß Freude bereiten. In dieser Hinsicht war die gestrige Premiere szenisch und musikalisch ein voller Erfolg. Der italienische Opernregisseur Jacopo Spirei hatte viele gute Ideen. Das Drumherum erreicht nicht die szenische Opulenz Villazóns, dafür gelingen die Figurenzeichnungen und die meisten Handlungselemente umso überzeugender. Spireis Liebestrank ist nicht unbedingt originell, manches wirkt eklektisch, das Gesamtbild erscheint aber wie aus einem Guß, da es gestern von den hochmotivierten Sängern zum Gesamtpaket aufgewertet wurde.

Was ist zu sehen und hören?
Dieser Liebestrank wird also in einer Bahnhofshalle verkauft. Für Regisseur Spirei ist Nemorino die zentrale Hauptfigur: "In dieser berührend naiven Figur liegt eine romantische Poesie, auf der die Komik der Oper aufbaut." Tenor Eleazar Rodriguez in der Hauptrolle ist ein Glücksfall: mit welcher Intensität,
er seine Rolle verkörperte, wie er in seiner Figur aufging, mit welcher Souveränität er sie sang, ob „Quanto è bella“, "Adina, credimi“ oder „Una furtiva lagrima“ - kaum zu glauben, daß das sein Rollendebüt war, so sicher, so selbstverständlich, so großartig - BRAVO. Das ist eine Rollendarstellung, mit der er sich einen sicheren Platz im Herzen der Karlsruher Opern-Fans  erobert hat. Wer immer nun Nemorino spielt, wird sich an ihm messen müssen - und nochmal: BRAVO.
Agnieszka Tomaszewska ist mit ihrer Darstellung der Adina endlich in Karlsruhe angekommen. Als Gast sang sie eine berührende Katja in Weinbergs Passagierin, sie war eine starke Sina in Verlobung im Traum, ihre Mimì in La Bohème litt unter der sterilen Inszenierung. Aber erst als Adina hat sie nun ihre erste große Premiere und sie nutze ihre Rolle sängerisch und darstellerisch - BRAVA!
Als Soldat Belcore agiert Armin Kolarczyk mit aufgeplusterter Überheblichkeit und so schöner Stimme, daß man versteht, wieso er attraktiv erscheint, Edward Gauntt darf im goldenen Anzug als dubioser Energy Drink Verkäufer Dulcamara so richtig auftrumpfen und sogar die kleine Rolle der Gianetta war mit Anna Tsartsidze hörenswert gut besetzt. Und vor allem dem Chor waren der Spaß und die Spielfreude bei dieser Inszenierung anzumerken - sie sangen und spielten mit hohem Engagement. An alle: BRAVO!
Dirigent Daniele Squeo hat sich "für die kritische Ausgabe des Belcanto-Spezialisten Alberto Zedda entschieden, der noch einmal gut in Donizettis Autograf geschaut und das Aufführungsmaterial auf die Quellen zurückgeführt hat. Das macht sich vor allem in der Phrasierung und der Dynamik bemerkbar, die Zedda den Quellen folgend stark reduziert hat, was zu einem feineren, schlankeren Klangbild führt. Diesen Orchesterklang ergänzen wir in unserer Aufführung mit einem Hammerklavier, das mit seinem anachronistischen Klang einen besonderen Reiz hat, insbesondere wenn es nicht nur in den Rezitativen, sondern auch bei den Arien und Ensembles im vollen Orchestersatz zum Einsatz kommt." Soweit das Programmheft - Squeo gelingt es erneut -wie schon bei Bellinis I Capuleti e i Montecchi- die Sänger ideal zu begleiten und die Tempi perfekt zu takten - es gab keine Längen, die Aufführung hängte nie durch, sondern hielt stets Schwung und Emotionen in Balance - BRAVO!

Fazit: Hier gelten keine Ausreden! Wer die kurzweilige Aufführung nicht mit guter Laune verläßt, der kann nur seine eigene verstockte Stimmung dafür verantwortlich machen. Der Schwung und die Begeisterung der gestrigen Premiere waren ansteckend. BRAVO!

PS:
Regisseur Jacopo Spirei wird hoffentlich nach Falstaff und dem Liebestrank noch weitere Meisterwerke in Karlsruhe auf die Bühne bringen: Donizettis Don Pasquale oder Rossinis Cenerentola wären sehr gute Kandidaten.

Besetzung  und Team:
Adina: Agnieszka Tomaszewska
Nemorino: Eleazar Rodriguez
Belcore: Armin Kolarczyk
Dulcamara: Edward Gauntt
Gianetta: Anna Tsartsidze

Musikalische Leitung: Daniele Squeo
Chorleitung: Ulrich Wagner
Regie: Jacopo Spirei
Bühne: Nikolaus Webern
Kostüme: Sarah Rolke