Sonntag, 10. April 2016

Euripides - Troerinnen, 09.04.2016

Lustige Jammergestalten
oder
Wenn die Tragödie zur Farce wird
Es ist mutig und originell, was das Karlsruher Schauspiel zeigt: Krieg und Leid als Comédie humaine, wenig Mitgefühl und viel Spott, letztendlich Pessimismus statt Pazifismus, warum auch nicht, in einer Welt, in der der Krieg wieder allgegenwärtig ist, in der Bürgerkriegsflüchtlinge von allen Seiten instrumentalisiert werden, um aus ihnen politisches Kapital zu schlagen, in der sogar der Humanismus zynisch geworden ist und es noch keinen Monat her ist, daß sogenannte Flüchtlingsaktivisten versuchten, künstlich eine humanitäre Katastrophe im griechischen Idomeni herbeizuführen, einen Grenzdurchbruch inszenierten und mitschuldig wurden am Ertrinken von Flüchtlingen in einem Grenzfluß und das für Medienaufmerksamkeit und aus Rechthaberei. In Euripides Troerinnen gibt es deshalb kaum Mitgefühl, jeder muß alleine mit seinem Unglück fertig werden, andere schauen zu und wollen es noch zu ihrem Vorteil ausnutzen oder diskutieren und rechtfertigen ihre Haltung. Das Unsägliche wird immer wieder von Galgenhumor und die Tragödie von einer Farce überdeckt, am Ende bleiben Groll und Ohnmacht. Viel Applaus gab es zu recht für sehr gute Schauspieler und flotte und solide 85 Minuten, die einige Fragen aufwerfen und bei der manche "Thema verfehlt" denken werden.
   
Worum geht es?
Der trojanische Krieg ist vorbei, Troja ist erobert, die trojanischen Männer sind tot, ihren Frauen sind in Gefangenschaft. Nachkriegszeiten sind konstituierend, die Griechen wollen ihre Hoffnung des Nie wieder! in die politische Realität umsetzen. Die zentrale tragische Figur ist Hekabe, die Gattin des trojanischen Königs (in Karlsruher Sichtweise könnte das Frau Assad oder Frau Gaddafi sein). Hekabes Sohn Paris brach zehn Jahre zuvor das griechische Gastrecht und beleidigte seinen Gastgeber, den griechischen König Menelaos, dadurch unversöhnlich, daß er ihm die Ehefrau Helena entführte und damit den Krieg zwischen Griechen und Trojanern auslöste. Ein Krieg um eine Frau? Ein Krieg des Anstands und der Sitten gegen die Arroganz und Rücksichtslosigkeit, also ein Krieg der Werte? Oder doch ein Krieg aus gesuchtem Anlaß der armen Griechen gegen das reiche Troja? Wer verursachte den Krieg? Wer zwang wen zum Krieg? Wer ist schuldig? Die Sieger beantworten die Schuldfrage stets eindeutig, bei dieser Neuinszenierung sind beide gleichermaßen verstrickt - Täter und Opfer sind nicht unterscheidbar.
            
Die vereinten Davids besiegten Goliath. Hekabe hat alles verloren, ihr Mann und fast alle ihre Kinder sind tot, sie und ihre Tochter Kassandra sowie ihre Schwiegertochter Andromache erwarten eine ungewisse Zukunft im Exil. Doch das Unglück hat Hekabe nicht geläutert - sie durchlebt das tiefste Elend und doch keift sie haßerfüllt gegen die Sieger, beklagt sich ohne Einsicht in ihr Schicksal, beschwört Rachephantasien und schießt Tiraden gegen Helena. In ihr gärt der Wille zur Revanche, die ihr Enkel Astyanax ausführen soll, wenn er erwachsen ist. Die Griechen versuchen die Rachespirale zu durchbrechen, Odysseus läßt den Knaben aus politischem Kalkül töten. Hekabes Hoffnung, daß die von ihr gehaßte Helena von ihrem Gatten Menelaos getötet wird, zerschlägt sich ebenfalls: er verzeiht ihr und nimmt sie als seine Königin zurück. Troja wird eingeäschert, die Überlebenden als kriegsgefangene Zwangsarbeiter auf die griechischen Schiffe verteilt. Die haßerfüllte Hekabe erlebt die Niederlage verständnislos und unversöhnt, ihr Krieg war gerecht - ein ungeläutertes Kriegsopfer, das nur ihr Leid und ihre Ohnmacht sieht und den Blick nicht nach vorne richten kann.
                  
Was ist zu beachten (1)?
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von ...Kämpfen." wußte schon Marx. Wer gegen wen kämpft, ist variablel, Klasssenkämpfe, Völkerkämpfe, Nationenkämpfe, Ideologiekämpfe, Religionskämpfe, Kämpfe zwischen konkurrierenden Gruppen.... . Noch mal Marx: "Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen." Doch anders als von Marx prognostiziert spaltet sich die Weltgesellschaft in mehr als in zwei große feindliche Lager, Bourgeoisie und Proletariat sind als Begriffe obsolet, die Fronten sind unübersichtlicher geworden. Der Friede der einen, ist den anderen Unterdrückung und Qual. Wer kämpft also gegen wen? Wer führt heute noch Kriege und gegen wen? Und was für einen Krieg? Der Regisseur verzichtet aus Konkretisierungen und Anspielungen, lediglich die Kostüme geben Hinweise.

Was ist zu sehen (1)?
Keine plakativen Kriegsopfer, sondern schicke europäische Outfits, man leidet nicht heruntergekommen, ungepflegt und improvisiert. Hekabe trägt ein kleines Schwarzes, Andromache Ballerinas, beige Hosen, Bluse und Strickjacke, Helena ein verführerisches rotes Kleid und Trenchcoat, die Männer tragen Anzug und Krawatte. Sieger und Verlierer zeigen keine visuellen Gegensätze, sie gehören zum selben modischen Kulturkreis. Der Krieg zeigt keine barbarischen Folgen, sondern bleibt stilvoll, das Leben geht weiter, der Krieg hat keine äußerlichen Spuren hinterlassen, er scheint an der Peripherie stattgefunden zu haben.
Die einfach gehaltene, beeindruckende Bühne ist symbolisch - lediglich ein Steg, ein steiler Übergang mit Abgründen, dazu Videoprojektionen mit "abstrahierten Bildwelten" und dem Hauptelement Wasser, das für "Unberechenbarkeit" und 'Unbeherrschbarkeit' stehen könnte, ansonsten kahle Betonwände. Die Szenerie wird durch eine Musik atmosphärisch untermalt, die zu Brad Pitts Auftritt als Achilles in der letzten Hollywood-Verfilmung von Troja passen würde - die Musik hat ein Pathos, das der Inszenierung fehlt und scheint nur bedingt zum oft ins Amüsante abgleitenden Bühnengeschehen passen zu wollen

Was ist zu sehen (2)?
Gewalt ist eine Konstante, eine jedermann zugängliche und deshalb attraktive Handlungsoption, die situativ ergriffen wird, Gewalt kann befreien und neue Möglichkeiten schaffen, analysierte der Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski in seinem Buch "Räume der Gewalt". Die Abwesenheit von Gewalt und Krieg ist eine fragile Errungenschaft, die ständig beschützt und verteidigt werden muß. Diese Inszenierung im mitteleuropäischen Ambiente könnte man auch als eine Warnung sehen: es scheint, als würden die gesellschaftlichen Gegensätze in Europa wieder größer. Schiller ließ im (bald in Karlsruhe gezeigten wichtigen und aktuellen Werk über Bürgerprotest und Widerstand) Wilhelm Tell sagen: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt." Europäer scheinen öfters wieder böse Nachbarn zu etikettieren und Gegensätze hervorzuheben. Die Interessensgruppen sind nicht mehr national, sondern organisieren sich über Grenzen hinweg. Die Verortung der neuen Karlsruher Inszenierung der Troerinnen in mitteleuropäischem Gewand könnte man verstehen als Warnung vor der leichtfertigen Demokratie, die ihre Homogenität und gesellschaftlichen Frieden verloren hat und die ihren politischen Willen nicht mehr aus der Bevölkerungsmehrheit definiert, sondern Alternativlosigkeit als Begründung heranzieht.  

Was ist
zu beachten (2)?
Euripides Sichtweise hat im Vergleich zu Homers ca 300 Jahre zuvor entstandenen Epen eine frauenfeindliche Komponente. Wer ist die größere Lügnerin: Helena oder Hekabe? Was bezwecken Hekabes Tiraden gegen Helena? Die trojanische Königin ist eine unsympathische Intrigantin, die der Geliebten ihres verstorbenen Sohns den Tod wünscht: Die Frau, das weibliche Begehren ist an allem Schuld - ihre Wollust, ihr Gier nach Luxus und Reichtum, ihr Wunsch nach Leben und Individualität hat das Unglück gebracht. Die "Hure Helena", die sich aus armen Verhältnissen ins reiche Troja "emporschlief", soll sterben. Hekabe wird zur vertrockneten, haßerfüllten Alten, mit der es keine Zukunft geben kann.
         
Abschweifung - Das Schicksal Helenas                     
Was wurde aus der schönen Helena um derentwillen der trojanische Krieg geführt wurde? Sie kehrte laut Homer mit Menelaos zurück und führte ein langes und glückliches Leben. Beide bilden damit eine Ausnahme: denn fast alle anderen griechischen Heerführer widerfuhren unglücklichere Schicksale. Bei Homer gab es keine weiteren Schuldzuweisungen, nachtragendes oder rechthaberisches Verhalten - die Liebesgöttin Aphrodite war schuld und gegen göttliches Schicksal kann man sich nicht wehren. Wieso also nachtragend sein? Das Glück von Menelaos und Helena angesichts des desaströsen Kriegs kann man als frühgriechische Lebensklugheit interpretieren, wie es erst kürzlich die beiden amerikanischen Philosophieprofessoren Hubert Dreyfus und Sean Dorrance Kelly in ihrem Buch "Alles, was leuchtet: Wie große Literatur den Sinn des Lebens erklärt" getan haben.

Was ist zu sehen (3)?
Wer Krieg führt, ist selber schuld. Mitleid hat der Regisseur kaum mit den gefangenen Frauen, die ja alle aus der herrschenden Familie kommen, deren Männer selber Krieg führten, die sich als Sieger genauso verhalten hätten, wie nun die Griechen, die sich in dieser Inszenierung wiederum skrupulöser zeigen als die trojanischen Frauen. Bei den Frauen findet man Haß, Schuldzuweisungen und Rachephantasien. Das ermordete Kind bleibt Kollateralschaden, ein Einzelschicksal, das kaum zählt, das Leben geht weiter, Leid und Trauer sind isoliert.
Durch die Streichung des Chores fällt einiges an Text und ursprünglichem Kontext weg, überhaupt ist einiges anders und gekürzt,  die teilweise flapsige und sehr freie Neuübersetzung betont den schwarzen Humor (bspw.: "Beerdigungen sind eine eitle Show für die Überlebenden"). Oberflächlichen Lesern gelten die Troerinnen als "das älteste pazifistische Drama der Kulturgeschichte", in Karlsruhe geht es um die Unfähigkeit zum Mitgefühl und/oder die richtigen Entscheidungen zu treffen, Euripides Stück handelt von Rechtfertigungszwängen, die durch ihre Absurditäten komisch werden. Man lacht und das Lachen sollte einem eigentlich im Halse stecken bleiben - Troerinnen ist hier kein pazifistisches Stück, es ist ein zutiefst pessimistisches.
Alle Schauspieler zeigen eine sehr gute Leistung: Bei Annette Büschelberger ist Hekabe keine Studie in Tiefenverzweiflung, sie pendelt zwischen Fassungslosigkeit und Unverständnis, sie ringt anfänglich um das Trauernkönnen, erst die Geschehnisse der Nachkriegszeit lösen langsam die innere Verhärtung bis sie am Ende von allem genug hat. Kassandra wird bei Florentine Krafft zur überdrehten und durchgedrehten Rächerin, die nur noch für ihre Vergeltung lebt. Amélie Belohradsky zeigt eine Andromache im Konflikt: sie will ihrer Rolle gerecht werden, doch weiß sie nicht, was von ihr nun erwartet wird: sterben, sich verweigern, kooperieren? Im Zickenkrieg mit ihrer Schwiegermutter Hekabe zeigt sie bspw. ihr komödiantisches Talent, beim angekündigten Tod ihres Sohnes hat sie eine starke Szene als von der Situation überforderte und verzweifelte Mutter. Als Helena hat man einen Gast: Lisa Mies war als Ensemblemitglied in Mainz und Leipzig tätig (vielleicht gehört sie nächste Spielzeit zum Karlsruher Ensemble?), Helena ist hier eine große Rechtfertigerin und Verführerin. Sascha Tuxhorn ist als einfacher Bote Talthybios die mitfühlendste, die am wenigsten korrumpierte Figur. Er hat Skrupel und entkommt dennoch nicht der Logik der Kriegführenden. André Wagner darf als Menelaos seiner Gattin Helena gekonnt erneut erliegen, denn auch wenn er bei seinem Abgang noch entschlossene, wenn auch unsichere Dominanz zeigt, man weiß, daß er ihr nicht wiederstehen wird. Für die Mini-Rolle des Poseidon hat meinen Gast engagiert: Marcus Mislin war 2006 bis 2015 Schauspieler und Regisseur am Staatstheater Mainz und darf zu Beginn kurz die Vorgeschichte erzählen.

Fazit: Bemerkenswert ambivalente Eindrücke und Galgenhumor in pessimistischer Grundhaltung - es gelingt jenseits von bleischweren und bedeutungsschwangeren Lamentos eine atmosphärisch dichte, flotte und rabenschwarze Farce über die Absurdität des Krieges.

PS: Die Theaterstücke zur aktuellen politischen Situation sind u.a. "Hexenjagd", "Der gute Mensch von Sezuan", "Wilhelm Tell" und "Troerinnen". Jan Linders hat mit Schiller und Euripides zum Abschluß seiner Zeit als Schauspieldirektor die richtige Wahl getroffen und mit Troerinnen einen guten ersten Schlußeindruck hinterlassen.  Man kann dem in den vergangenen Jahren so glücklos und ungeschickt agierenden Schauspieldirektor nur wünschen, daß mit Wilhelm Tell am Ende der Saison ein großer Wurf gelingt.


Team und Besetzung:
Hekabe: Annette Büschelberger
Kassandra: Florentine Krafft
Andromache: Amélie Belohradsky
Helena: Lisa Mies
Menelaos: André Wagner
Talthybios: Sascha Tuxhorn
Poseidon: Marcus Mislin

Regie: Jan Philipp Gloger
Bühne & Kostüme: Marie Roth
Musik: Kostia Rapoport
Video: Sami Bill

1 Kommentar:

  1. @Laokoon
    Herzlichen Dank für die freundlichen Worte. Ich habe mich darüber sehr gefreut!

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