Freitag, 2. Oktober 2015

Love Hurts, 01.10.2015

Auf Kuschelkurs
70 Jahre Kriegsende und 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel - da wird das Staatstheater zum Staats-Theater und ist offiziell am Programm zur Feier beteiligt. Die gestern gezeigte Koproduktion mit dem Teatron Beit Lessin, dem zweitgrößten Theater Israels, wird zweistaatlich gefördert. Ein israelisch-deutsches Team vor und hinter der Bühne präsentiert eine empfehlenswerte, gut gemachte und in der Grundhaltung amüsante Rückschau. Man blieb bei diesem "Deutsch-Israelischen Rechercheprojekt" dokumentarisch, zwischenmenschlich und meistens rückwärts blickend - aber das scheint wohl der Zustand des deutsch-israelischen Verhältnisses zu sein. Zuspitzungen traut man sich kaum, Themen wie der Gaza-Krieg und seine Folgen und der neue Antisemitismus werden weitestgehend ausgeblendet. Wenn man an dieser Produktion etwas kritisieren möchte, dann daß sie die unschöne Aktualität fast komplett ausblendet und einen kuscheligen Konsensabend zum Wohlfühlen herbeispielt, der so vor 20 Jahren große Aussagekraft gehabt hätte. Heute wirkt er zu politisch korrekt auf Ausgleich bedacht, wo man Deutschen und Israelis inzwischen mehr Realitäten zumuten sollte.
                
Worum geht es?
Überraschenderweise ist die Karlsruher Inszenierung überwiegend ohne Bezug zur Aktualität und ohne politischen Willen oder Brisanz. Eine Rückschau: Bei Love hurts spricht man über alte Reflexe, Vorurteile und Ressentiments. Der Regisseur hat "echte Liebesgeschichten zwischen Deutschen und Israelis" zusammengestellt, ein "Querschnitt" aus Interviews von 35 gemischten Liebespaaren und ihren Konflikten und Erlebnissen zu einem Mix aus  Begebenheiten und  Mißverständnissen, teilweise skurril, oft einfach nachvollziehbar, nur sehr selten blitzen schwerwiegende kulturelle Hemmnisse hervor, bspw. beim Thema der Verstümmelung von männlichen Säuglingen und dem Kampf einer deutschen Mutter gegen den irreversiblen Ritus der Beschneidung ihres Sohns, bei dem sie letztendlich zurück nach Deutschland flieht. Doch sonst: viel individuelle Befindlichkeiten, kaum aktuelle Entwicklungen. Dabei hätte es doch einiges Interessantes zu besprechen gegeben!

Abschweifung(1): Wie sich die Dinge geändert haben
70 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist Deutschland wieder beliebt und respektiert, bei der jährlichen BBC Analyse (mehr dazu bspw. hier und hier) galt die Bundesrepublik zuletzt als "most popular country in the world", das seinen Einfluß nutzt, um positiv in der Welt zu agieren. Deutschland ist eine Soft Power Großmacht (meint der britische Economist. Der deutsche Moralimperialismus und die latenten Drohungen bzgl. wirtschaftlicher Konsequenzen, mit denen demokratische Nachbarländer während der Flüchtlingskrise eingeschüchtert werden sollten, weil sie der deutschen Linie kritisch gegenüber standen, kommt hier noch nicht zum Tragen). Mehrere Jahrzehnte mit links-liberalen Außenministern haben die Grundlage für ein neues deutsches Selbstbewußtsein (und anscheinend für eine moralische Selbstüberschätzung) gelegt. Israel hingegen konkurriert mit Nord-Korea und Pakistan um die hinteren Plätze der Länder mit negativem Einfluß auf die Welt. Israel gilt dort als Kriegstreiber im Nahen Osten, die Anti-Zionisten übersehen dabei gerne, daß in ihren Kreisen einige Israel die Existenzberechtigung absprechen. Israel scheint nur noch wenige Freunde in der Welt zu haben. Sogar aus Europa fliehen erneut Juden vor Übergriffen. Der Anti-Semitismus in Europa ist durch arabische Einwanderer wieder akut geworden. In Frankreich so sehr, daß eine Welle französischer Einwanderer Israels Behörden vor Herausforderungen stellt. Als Deutschem steht einem die Welt anscheinend weiter offen. Deutschland vertritt Israel konsularisch in den Ländern, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel haben, also die meisten arabischen Länder, aber auch Teile Lateinamerikas, Asiens und Afrikas (z.B. Indonesien, Malaysia, Marokko und Bolivien).

Abschweifung(2): Der in Deutschland wieder geduldete Anti-Semitismus
Der Mediziner Leo Latasch (Mitglied im Deutschen Ethikrat und im hessischen Integrationsbeirat; Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt) unterscheidet zwei Arten Antisemitismus: den angestammten und den neuen, gewaltbereiten, der in Deutschland (wie auch in Frankreich) insbesondere von Muslimen ausgehe: „Das beginnt damit, dass auf dem Schulhof ,Scheiß-Jude‘ inzwischen zum Alltag gehört, und endet noch nicht damit, dass auf Frankfurter Straßen ,Juden ins Gas‘ skandiert wird.“ Seitdem in Berlin der Kippa-tragende Rabbiner Daniel Alter vor den Augen seiner kleinen Tochter von Moslems -ohne Anlaß, einfach nur, weil er Jude ist- verprügelt wurde, zieht er aus Gründen des Selbstschutzes über seine Kippa eine weitere Mütze: "Antisemitismus bekommt in der jüngeren Vergangenheit eine neue, offenere und aggressivere Qualität". Jude sei unter muslimischen Jugendlichen ein Schimpfwort geworden, schreibt der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour in einem Bericht für die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Als Jude ist man in Deutschland erneut nicht sicher und muß sich bedeckt halten, doch scheint es eine mentale Blockade in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu geben, offen gegen den neuen Antisemitismus vorzugehen. Man grämt sich lieber über den alten und bevorzugt symbolisch-rituelles Bedauern, bei dem man die Augen so weit senkt, daß man das Offenkundige nicht sieht oder nicht erkennen will und damit indirekt Freifahrtscheine für Antisemitismus, aber auch für Patriarchat, Misogynie und Homophobie erteilt. Die Fernsehsendung ZDFzoom: Ein Staat, zwei Welten legte am 02.09.15 nahe, daß Politiker und Bürger der Bundesrepublik zu feige und zu naiv sind, um das Grundgesetz und dessen Werte zu verteidigen und  dessen Akzeptanz einzufordern. Es scheint durchaus  eine diskutable These, daß der politische Islam die größte Gefahr für die gleichgültige Demokratie und Juden in Deutschland seit dem Faschismus darstellen könnte.

Abschweifung(3): Karlsruhe und die Entwürdigung des Juden Fritz Haber
Aber gedankenlose Diffamierung findet sich auch an unerwarteter Stelle: Die Stadt Karlsruhe entblödete sich nicht, den Nobelpreisträger Fritz Haber (*1868 †1934), der von 1898 bis 1911 als Chemie-Professor an der Universität Karlsruhe die Forschungsarbeit leistete, für die er 1919 den Nobelpreis bekam,  als "verantwortungslosen Wissenschaftler" herabzusetzen und ein Straßenschild in Grünwinkel mit einem unfreundlichen Zusatzschild zu ergänzen, das Habers Konflikte als deutscher Jude, seine Verdienste und Errungenschaften nicht würdigt. Haber war als wissenschaftlicher Berater im Kriegsministerium mit der Forschung an der vermeintlich kriegsverkürzenden Waffe Giftgas beauftragt und handelte, wie es die Zeit, seine Position als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie und Untertan des Kaisers gebot. Ihm daraus Jahrzehnte nach seinem Tod einen Vorwurf zu machen ist schlicht lächerlich. Oder ist auch Albert Einstein, der Roosevelt den Bau von Atombomben empfahl, ein "verantwortungslosen Wissenschaftler" in der Definition der Stadt Karlsruhe? Und was ist mit Walther Rathenau (oder wurde der Walther-Rathenau-Platz in der Nordweststadt auch schon mit einem Zusatz ergänzt?), der das Kaiserreich effektiv kriegstauglich machte, in dem er als erster Leiter der Kriegsrohstoffabteilung die deutsche Industrie unter staatliche Beaufsichtigung stellte. Wer sollte noch alles mit einem Herabwürdigungsschild versehen werden?
Haber konnte es als Jude den Deutschen nie recht machen. Irgendeinen Vorwand gegen ihn kann man -wie gegen jeden Menschen- immer finden und es ist wichtig sich daran zu erinnern, daß niemand verlogener und heuchlerischer ist, als die selbst ernannten Moralprediger. Wo die Tugendwächter von eigenen Gnaden eine Kluft zwischen intellektueller und moralischer Potenz wittern, wird die Person auch Jahrzehnte nach ihrem Tod persönlich diffamiert und Denkmäler vergangener Zeiten werden unwiderruflich eliminiert ohne über vergangene Zeiten und Zwänge nachzudenken. Man gibt kommenden Generationen damit bestenfalls ein Beispiel, mit welch lächerlicher Verklemmtheit und Selbstüberschätzung die Zeigefingermoralisten unserer Tage ihre eigene Unbedeutendheit auf Kosten vergangener Leben und Taten in Szene zu setzen versuchen. Als Theatergänger wartet man auf den Molière von heute, der die Tartuffes der Politik und der politischen Korrektheit als eingebildete Heuchler entlarvt und die Arroganz und schizoide Selbsttäuschung und Selbsterhöhung der Gut- und Bessermenschen offenlegt ..... doch diese Abschweifung erfolgt nur am Rande.
                
Worum geht es(2)?
Oft kommen symbolische Hemmnisse nur im Laufe von Beziehungskonflikten auf. Regisseur Avishai Milstein schreibt: "Das verliebte Paar wird ungewollt ein Botschafter von etwas Größerem. Schuld, Hoffnung, Erinnerung oder Erlösung klebt an ihm. Das ist der Konflikt, in dem sich diese Paare befinden: zwischen dem Bedürfnis, erlöst zu werden, und dem Willen, sich zugehörig zu fühlen. Die Notwendigkeit, sich als Teil eines Volks und einer Gesellschaft zu  fühlen, droht die Liebe zu beenden. Und dann passiert die große Transformation: Entweder trennen sich die Liebenden, oder sie gehen in psychologische Behandlung, oder sie geben sich einer großen Lebensmetamorphose (zum Beispiel Konversion zum Judentum) hin, aber auf jeden Fall nehmen sie eine Mission auf sich, die über diese privaten Liebe hinaus geht. Die Liebe derjenigen, die diese Aufgabe auf sich nehmen können, wird überleben."

Daß sich Nachgeborene nicht von der Belastung durch die Vergangenheit trennen können, ist eine psychologische Frage, die hier leider nicht erforscht, sondern nur dokumentiert ist. Obwohl ca. vier mal mehr mehr Russen als Juden im 2. Weltkrieg durch Deutsche starben, sind die deutsch-russischen Beziehungen weniger belastet. Würde ein vergleichbares Stück über deutsch-russische Paare ein ähnliches Ergebnis liefern?  Der Regisseur sagt selber: "Das spezifische Problem zwischen Deutschland und Israel ist das Verdecken einer kollektiven Wunde. Beim ersten Zusammenkommen ist es ein Gefühl großer Erlösung, daß alles zu klappen scheint. Aber irgendwann klafft diese Wunde auf. Deutsch-israelische Beziehungen sind im Grunde wie deutsch-schwedische oder israelisch-amerikanische." Welche kollektive Wunde? Das Töten von Zivilisten ohne Gegenwehr? Deutsche und Russen führten Krieg, deshalb sind die über 20 Millionen russischen Tote historisch weniger einmalig? Wo liegt also das psychologische Hindernis in der deutsch-israelischen Geschichte? An der früheren engen Verwandtschaft  zwischen deutscher und jüdischer Kultur, die kaum noch ein Lebender bezeugt? Oder doch darin, daß man sich nicht wie bei anderen "normalen" Beziehungen aus dem Opfer-Täter-Rollenspiel befreien kann und es immer noch fortführt? Daß man glaubt, eine gemeinsame spezielle Beziehung zu haben wo andere sie vor Jahrzehnten tatsächlich brutal beendeten und nichts mehr außer der Vorstellung von einer Beziehung existiert? Ist es die nachtragende Geschichte, die zwar einfach nur nicht vergessen will, aber tatsächlich zu hohe Hürden baut? Ein unbewältigtes kollektives Trauma, weil man sich in Israel nie aus der Opferrolle befreien konnte? Oder sind Israelis einfach nur deutlich nachtragender als Russen? Ein Israeli gibt in Love hurts einen provokativen Antwortvorschlag, den das Programmheft so beschreibt: "Seiner Meinung nach betont Israel die besonderen Beziehungen zwischen beiden Ländern, um Geld von Deutschland zu erhalten, und Deutschland, um einen Persilschein für die Vergangenheit zu erhalten und wieder Teil der Weltgemeinschaft zu werden."

Der Regisseur überfrachtet symbolisch:  "Und was ist die Schlußfolgerung? Diese seit Jahrhunderten existierende faszinierende Liebesgeschichte kann nicht funktionieren, ohne daß die Liebenden verstehen, daß sie in dem historischen Moment, in dem sie lieben, Teil eines Beziehungsgeflechts sind, das auf die eine oder andere Art und Weise seit Jahrhunderten existiert." Daß Paare und Menschen irgendwann nicht mehr zu einander passen, hat andere Ursachen. Die Herkunftsunterschiede sind nicht Auslöser, sie werden zum Verstärker instrumentalisiert.

Love hurts - aber in Karlsruhe ist es doch nur individuelle Liebe zwischen Personen aus zwei Ländern, die zeigen, daß man seiner Nationalität nicht entkommt und sie also doch ein wesentlicher Bestandteil eines Individuums ist, daß man nicht einfach Weltbürger sein kann, sondern immer und hauptsächlich auf seine Nationalität zurückgeworfen ist.

Was ist zu sehen?
Gefällige und sympathische, amüsante und schnell vergehende 75 Minuten. Drei Schauspieler des Teatron Beit Lessin in Tel Aviv spielen mit drei Schauspieler aus dem Karlsruher Ensemble, und zwar 12 Szenen über Befindlichkeiten. Alle Schauspieler sind ständig präsent und schauen sich gegenseitig zu, wenn sie nicht spielen.
Ein Handicap fällt bei dieser Inszenierung weniger als erwartet ins Gewicht: die Dreisprachigkeit Hebräisch, Deutsch und Englisch. Gutes Schauspiel ist letztendlich immer nur für Muttersprachler oder Personen mit einer fast perfekten Sprachkompetenz gemacht. Wer hingegen Übertitel mitlesen muß und Nuancen der Sprache nur erraten kann, verpasst immer das Wesentliche guten Theaters: das Bühnengeschehen als Kombination von Schauspiel und Sprache wird zum flachen Erlebnis. Die hier gezeigten Erzählungen sind schauspielerisch wenig fordernd, man kann Ihnen durch die Übertitel folgen ohne auf der Bühne etwas zu verpassen. Es wird kreuz und quer gespielt, Israelis spielen Deutsche auf Hebräisch und Englisch, Deutsche Israelis, fast schon absurd wirkt es, wenn Deutsche miteinander lange englische Dialoge haben.

Fazit: Ein sympathischer und versöhnlicher Abend, politisch korrekt, gut gemeint und gut gemacht. Es gilt hier die Geste mehr als der Inhalt, die sehr engagierten Schauspieler garantieren den Publikumserfolg.


Team und Besetzung
Schauspieler:  
Veronika Bachfischer
Hadas Kalderon
Florentine Krafft
Vitali Friedland
Sebastian Reiß
Rafi Tavor

Regie: Avishai Milstein
Bühne & Kostüme: Adam Keler