Dienstag, 1. September 2015

Die kommende Spielzeit 2015/16 im Überblick

Im fünften Jahr seiner Intendanz gibt Peter Spuhler dem Publikum folgendes Rätsel auf: "Für mich ist das vorliegende Programm mit zahlreichen Herzensprojekten das schönste der Jahre, die ich bisher in und für Karlsruhe verantworten durfte." Über diese Herzensprojekte kann man thematisch und programmatisch rätseln. Tatsächlich gibt es einige Umstellungen zu beobachten:               
                 
Strategiewechsel in der Oper
Auffällig ist das komplett veränderte Opernprogramm: keine zeitgenössische Oper, keine politische Oper, sondern nur Opern des 19. Jahrhunderts: Bellini, Meyerbeer, Verdi und 2 mal Wagner, dazu der obligate Händel und My Fair Lady. Auch die Wiederaufnahmen bieten nur Kernrepertoire der Jahre 17xy bis 18yz. Spuhlers Opern-Herzensprojekte erscheinen also konträr zu den ersten vier Jahren seiner Intendanz und beruhen auf etablierten Werken. Inwieweit der Opernspielplan der kommenden Saison vom Team Schaback/Feuchtner konzipiert wurde oder nach deren Abgang 2014 noch adaptiert wurde, ist unklar. Der ambitionierte Spielzeitbeginn mit Giacomo Meyerbeer beendet nun (vorläufig?) die Reihe der französischen Opern (Berlioz' Trojaner waren 2011 ein spektakulärer Einstieg). Auf die Premiere von Le Prophète am 18.10.2015 darf man sich aus vielen Gründen besonders freuen: Meyerbeer ist einer der erfolgreichsten und größten Opernkomponisten, Star und Idol seiner Zeit, umjubelt, beneidet und vielfach angefeindet. Seine Meisterwerke werden viel zu selten aufgeführt: lange Zeit war Meyerbeer nicht in Mode, seine großen Opern haben wagnersche Dimensionen und erfordern sehr gute Sänger. Ca. 95 Jahre war Der Prophet nicht mehr in Karlsruhe auf der Bühne. Man kann dem Badischen Staatstheater viel Glück und Erfolg wünschen und hoffen, daß diese durchkomponierte Grand Opéra in der Karlsruher Inszenierung zeigen kann, wieso Meyerbeer über Jahrzehnte beim Publikum Triumphe feiern konnte. Die Wahl des Regisseurs läßt Aufregendes erwarten, das Thema der religiösen Fanatisierung von Machtlosen kann kaum aktueller sein.
My Fair Lady (Premiere am 12.12.2015) wird einigen noch in Erinnerung sein, zuletzt wurde sie während der Intendanz von Pavel Fieber (der auch selber Professor Higgins spielte) inszeniert. Mit Armin Kolarczyk wird man in Karlsruhe eine Luxusbesetzung für die männliche Hauptrolle haben. Ein englisches Regieteam wird diesen Klassiker in Karlsruhe auf die Bühne bringen und wahrscheinlich modernisieren. Das Zielpublikum der Regie könnte nicht identisch mit dem tatsächlichen sein.
Macbeth (23.01.2016) wird mit Barabara Dobrzanska und Seung-Gi Jung in den Hauptrollen die Verdi-Fans beglücken, die Inszenierung wird sich mit dem Vorgänger aus dem Jahr 1997 messen müssen. Bei den Händel-Festspielen wird mit Arminio (13.02.2016) eine Produktion des Musiklabels Parnassus eingekauft. Ob diese Abgabe von Verantwortung an einen externen Dienstleister wirklich eine gute Alternative ist, bleibt abzuwarten. Das Programm der Händel Festspiele verspricht viele Höhepunkte im Februar und sollte wie seit vielen Jahren ein Zuschauermagnet sein.
Mit Tristan und Isolde (27.03.2016) wird Justin Brown seinen Wagner-Zyklus fortsetzen, als Tristan wird Erin Caves und als Isolde werden Heidi Melton und Rachel Nicholls zu hören sein. Ein Sängerfest muß Bellinis Romeo-und-Julia-Oper I Capuleti e i Montecchi (04.06.2016) werden. Ein neuer Nibelungenring kündigt sich dann mit dem Rheingold am 09.07.2016 an.
Schaut man sich die Regieteams und Sängerbesetzungen an, kann man eine vielversprechende Spielzeit erhoffen. Weniger spannend sind die Wiederaufnahmen, nur Yekta Karas Inszenierung der Entführung aus dem Serail aus der Spielzeit 2003/2004 überrascht (die damals mit Claudia Barainsky, Ina Schlingensiepen, Bernhard Berchtold, Cenk Biyik und Peter Lobert vorzüglich besetzt war). Ansonsten mangelt es weiter an Abwechslung. Überraschend ist auch, daß weiterhin keine neuen Produktionen der Zeit 2011-2014 den Weg zurück finden.
  
Schauspiel - Auf der Suche nach Kontinuität
Von 17 neuen Schauspielern zu Intendanzbeginn 2011 sind gerade mal noch fünf übrig. Das Schauspiel zeigte schnell vielfältige Defizite und Direktor Jan Linders hat innerhalb von vier Jahren viele Umgestaltungen vorgenommen. Die Leistungsfähigkeit bleibt weiter eingeschränkt: es gibt nur 11 Neuproduktionen; vor 10 Jahren in der Spielzeit 2005/2006 sah ich 15, und das waren wahrscheinlich nicht alle. Aber: das Bemühen ist erkennbar, neue Hauptrollenschauspieler engagiert .... also zurück auf Neustart und zum Prinzip Hoffnung. Endlich mal wieder eine gute Schauspielsaison - wieso nicht 2015/16? Denn womit kann man besser zeigen, daß einem Theater sein Publikum am Herzen liegt als mit einem spannenden Hamlet? Hoffentlich wird die Shakespeare-Inszenierung kein Ego-Trip, sondern für ein Publikum gedacht und konzipiert, das wissen will, was es mit diesen vielleicht berühmtesten alle Theaterstück auf sich hat. Ein neuer Hauptrollen-Schauspieler übernimmt die Titelfigur (Premiere 02.10.2015). Eine Inszenierung mit Signalcharakter: Erfolg und Mißerfolg zählen doppelt und dreifach.
Es folgt eine Romanbearbeitung von Franz Werfels umfangreichen Roman Die 40 Tage des Musa Dagh  über den türkischen Massenmord an den Armeniern: Die Kinder des Musa Dagh von Ferdinand Bruckner eignet sich vielleicht besonders für die Freunde von politisch korrektem Betroffenheitstheater bei dem es vor allem um die Geste geht (28.11.2015). Als Komödie folgt am 13.12.2015 Das Abschiedsdinner von den Autoren des Erfolgsstücks Der Vorname. Einen zweiten Saisonhöhepunkt darf man ab dem 31.01.2016 erwarten: Kinder des Olymps basiert auf einem französischen Filmklassiker und wird von dem französischen Team auf die Bühne gebracht, das Riccardo Primo bei Kerzenlicht inszenierte. Nach einer weiteren Romanbearbeitung eines (Nach-)Kriegsbuchs, Gert Ledigs Faustrecht (20.02.2016), folgen drei Klassiker: Ibsens Gespenster (17.03.2016), Euripides' Troerinnen (09.04.2016) und Schillers Wilhelm Tell (19.06.2016).
Ergänzt wird das Schauspielprogramm durch das Musical Spamalot von Monty Python (27.09.2015) und drei Stücken des sogenannten Projekttheaters, also Betroffenheits-, Mitleids- sowie Verhältnisstudien: konkret über das deutsch-israelische Miteinander in Love hurts (01.10.2015), über Gewalt als sogenanntes "philosophisches" Volkstheater (10.04.2016) und über die Leiden und Identitätssuche von sexuellen Randgruppen in Falk Richters Small Town Boy (27.05.2016).
       
Ballett - Neues schaffen!
Wieder ein mutiges Jahr mit zwei Uraufführungen. Terence Kohler kehrt zurück - es wird spannend zu sehen, wie er sich weiter entwickelt hat. Mit einem Ballett über die Liaison zwischen Coco Chanel und Igor Strawinsky Das kleine Schwarze / The Riot of Spring (14.11.2015) kann Kohler hoffentlich an seine Anna Karenina anknüpfen. Im Frühjahr erfolgt dann Anne Frank (23.04.2016). Zum Glück hat man diese Aufgabe an den Brasilianer Reginaldo Oliveira übergeben, dessen Choreographien bisher alle etwas Besonderes waren. Die immer sorgloser werdende künstlerische Ausbeutung und Verwertung nicht-fiktionaler und fiktionaler Geschichten aus der Zeit des Dritten Reichs befindet sich immer mehr in Kitsch-Nähe - die Auseinandersetzung ist kein inneres Anliegen, sondern Vorwand. Wem wenn nicht dem Südamerikaner Oliveira sollte es gelingen, diesen Stoff nicht plakativ und banal zu choreographieren.
    
Konzerte - mehr Zurückhaltung
Die vergangene Konzertsaison brachte Besonderes! Eine ausgezeichnete Mischung, bei der man vor allem endlich neue Musik mit anspruchsvollen Solistenkonzerten hörte, die beeindruckte. Es gibt nun wieder eine zurückhaltendere Zusammenstellung, wobei das Konzertprogramm noch gar nicht komplett bekannt ist. Das sechste Symphoniekonzert ist noch nicht veröffentlicht. - ungewöhnlich spät steht also die Bekanntgabe des Programms erst noch an, aber vielleicht erfolgt eine Überraschung. Einige Programmpunkte sind eher als Nebenwerke einzustufen, bei denen man vermuten könnte, daß sie keine große Überraschung werden. Die ganz großen Höhepunkte sind zu Beginn und am Ende der Saison zu erwarten: im 1. Symphoniekonzert (Beethovens 3. Klavierkonzert, Brahms 3. Symphonie), im 2. (Schuberts Unvollendete, Szymanowskis aufregendes 1. Violinkonzert und Sibelius' 5. Symphonie) sowie im 8. mit Beethovens gigantischer Missa Solemnis. Die Uraufführung von Anno Schreiers Cellokonzert im 3. SyKo wird ein spannend offenes Erlebnis.
             
"Herzensprojekte"?
Mögliche Herzensprojekte kann man also thematisch und zeitlich identifizieren: Der Intendant setzt in der anstehenden Spielzeit überwiegend auf Bekanntes und Bewährtes. Keine Experimente scheint die Devise, ein überwiegend konservatives Programm. Schwerpunkte hat der Intendant thematisch bisher schon gesetzt, die auch diese Spielzeit weiter verfolgt werden. Das sind Themen wie Minderheiten, Fanatismus, Verfolgung, Gewalt und Krieg. Nicht gerade originell werden nun einige angesichts des durch ständige Medienbeschallung vorhandenen Übermaßes an Gegenwarts- und Geschichtsproblematik denken und tatsächlich kann man zum Beginn des 5. Intendanzjahres erneut eine gewisse Einseitigkeit und Alltäglichkeit konstatieren. Doch sind es zu viele alltägliche Themen, die heute kaum noch jemand vom Sofa locken und so überstrapaziert klingen, daß sich bei einigen wahrscheinlich schon vorab Ermüdungserscheinungen feststellen lassen? Es bleibt abzuwarten, ob eine theatralisch spannende Mischung aus Zumutung und Zuflucht erreicht wird.

4 Kommentare:

  1. Das 6. Sinfoniekonzert war für einen Tag online.
    Mauricae Ravel Ma Mére l’Oye
    Henri Frédien Tomasi Trompetenkonzert
    Dimitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47

    Wolfram Lauel Trompete
    Mirga Gražinytė-Tyla Dirigentin
    BADISCHE STAATSKAPELLE

    STAATSKAPELLEABER ob es dabei bleib, wer weiß, gab ja schon einige Änderungen, Tchaikovsky statt Rimsky-Korsakov, Beethoven statt Bartok, Szymanowski statt Berg...

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    1. Vielen Dank für den Hinweis! Tomasis Trompetenkonzert mit Herrn Lauel hört sich sehr gut an... Bis zum Theaterfest werden Konzertpläne und Operngalabesetzung wahrscheinlich bekannt sein.

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  2. Mittlerweile ist ein neuer Plan draußen :-)

    John Adams Tromba Iontana
    György Ligeti Lontano
    Tomasi Trompetenkonzert
    Richard Strauss Also sprach Zarathustra

    Wolfram Lauel Trompete
    Johannes Willig Dirigent
    BADISCHE STAATSKAPELLE

    Immerhin ein Stück ist gleich geblieben, ansonsten, wie ich schon gemutmaßt habe, alles durcheinander.

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    1. Vielen Dank für den Hinweis. Es bleiben aktuell übrigens noch "N.N." im 3. und 7. Konzert. Gepant und wieder gekippt sind Stücke von Nielsen und Avner Dorman.

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