Freitag, 29. Mai 2015

Ingrid Lausund - Zuhause, 28.05.2015

Zum Abschluß der Schauspielsaison hat man eine gute Wahl getroffen. Ingrid Lausund gehört zu den meistgespielten Autorinnen auf deutschsprachigen Bühnen. Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner hatte letzte Spielzeit in Karlsruhe Premiere. Dieses Jahr bringt man nun sechs der zwölf tragikomischen Prosastücke aus Bin nebenan - Monologe für zuhause auf die Bühne, die das Karlsruher Publikum gestern zum ersten Mal begutachten konnte. Lausund gelingt im Buch ein Zeit- und Sittengemälde par excellence; in Karlsruhe wird das mit teilweise guten Ideen und gelegentlich ein bißchen zu wenig Prägnanz umgesetzt.
 
Worum geht es?
Es sind Monologe über das Glück des Wohlstands und die Not der materiellen Notlosigkeit, kontrastiert durch die psychologischen Dramen des Alltags: Beziehungsprobleme und Sorgen, Einsamkeit und Lieblosigkeit. Zentraler Handlungsort: die eigenen vier Wände und ihre psychosoziale Bedeutung als räumliches Immunsystem, Schutz- und Rückzugsort gegen die Zumutungen der Außenwelt, als Ort des Bei-sich-seins und Ausdruck der unbeengten Individualität, bei dem in Zeiten materieller Sorglosigkeit Besitz nicht mehr nur erworben, sondern kuratiert wird und eine Symbiose mit sich selbst angestrebt wird.
Aus den Monologen (denen Ingrid Lausund folgende Titel gibt: Sofa - Badezimmer - Esstisch - Bett - Sammeltassen - Bild - Haus - Fernseher - Teekanne - Globus - Accessoires - Grundstück) hat Regisseur Florian Hertweck  sechs ausgewählt: zweimal geht es um Beziehungen, zweimal um die Wohnung als Rückzugsort, um einen Entwurzelten und um einen, der die Ansprüche anderer quälend fühlt.

  • Esstisch handelt von einem neuen Möbelstück in einem schönen Zuhause und einer gescheiterten Beziehung, bei der die Protagonistin über das Beziehungsende nachdenkt.
  • Fernseher handelt von Freiräumen, die ein Mann nur deswegen nutzen kann, weil seine Lebensgefährtin auf einem Seminar ist. Er lebt seine Launen in ihrer Abwesenheit aus und genießt es, vorübergehend keine Kompromisse eingehen zu müssen. Der Fernseher bleibt immer an.
  • Bett steht für den Schutzcharakter der eigenen vier Wände. In der bedrückendsten Geschichte geht es um das ungeliebte Kind einer Alkoholikerin, deren Abtreibung scheiterte, das in Heimen aufwuchs, gemobbt und gedemütigt wird und für das 38 eigene Quadratmeter das Zuhause als Zufluchtsort zeigt.
  • Badezimmer steht für Genuß und ebenfalls für Flucht und Schutz, hier aber nicht vor konkreten Bedrohungen des Alltags, sondern vor dem bedrohlich Fremdem und Unbekannten. Die Protagonistin steigert sich aus ihren Werbespruchweisheiten über Elendsphantasien in ein Groschenromanabenteuer.
  • In Grundstück wird ein Mann ohne Zuhause beschrieben, einer, der nie und nirgends angekommen ist, nirgendwo Wurzeln schlagen konnte und am Ende noch nicht mal auf dem Friedhof den richtigen Platz findet.
  • Im abschließenden Bild geht es um ein ungeliebtes Erbstück und die tote Mutter, die als verkörperter Dauervorwurf imaginär zurückkehrt und dem Protagonisten ihre Unzufriedenheit mit dessen Leben spüren lässt.

Der Monolog Sofa, den Thomas Halle beim Theaterfest so überzeugend spielte, fehlt bei dieser Auswahl.

Was ist zu sehen?
Die Bühnen- und Kostümbildnerin Maike Storf, die vor knapp 4 Jahren das großartig-variable Bühnenbild der Kleist'schen Hermannsschlacht entwarf, beweist auch hier ihren Ideenreichtum und macht aus sehr wenig das Bestmögliche. Es scheint, daß nur wenig Geld für diese Produktion zur Verfügung stand. Man hat die zentrale Schrankwand (ein kostenloses Möbel aus einer Kleinanzeige), die stilistisch aus den 1960er stammt und wahrscheinlich in den 1980ern in Pressholz eine Wiederauferstehung erlebte, einfallsreich präpariert, um verschiedenen Bühnensituation zu erstellen.
Regisseur Florian Hertweck hat - bis auf das zu unpräzise erste Bild, in dem Joana Kitzl als Verlassene zu stereotyp und inszenatorisch ein wenig verlassen wirkte - gute Ideen, um die Schauspieler als Erzähler ihres (Innen-)Lebens in Szene zu setzen. Luis Quintana kocht und wird tänzerisch unterstützt als Strohwitwer-Single, Michel Brandt hat einen starken Auftritt als kummervoller und verzweifelter Optimist, der endlich auf Glück hofft, Lisa Schlegel zeigt eine große Bandbreite zwischen Wohlfühlvollbad, Unbehagen und Phantasieträumen, Ronald Funke findet keinen Ausweg aus dem Abseits und der ab 2015/16 neu ins Ensemble wechselnde Jens Koch spielt aufopferungsvoll und mit vollem Körpereinsatz seine erste Rolle in Karlsruhe und setzt damit einen starken Schlußpunkt.

Fazit: Solide und gut gemacht, kurzweilig mit spannenden Verdichtungen. Aber das Buch bietet noch mehr - wem das Geschehen auf der Bühne gefällt, für den lohnt das Selberlesen.

Team und Besetzung:
Esstisch: Joanna Kitzl
Fernseher: Luis Quintana
Bett: Michel Brandt
Badezimmer: Lisa Schlegel
Grundstück: Ronald Funke
Bild: Jens Koch

Regie: Florian Hertweck
Bühne & Kostüme: Maike Storf