Montag, 16. Juni 2014

Rückblick (1): Standortbestimmung. Eine Kritik der Intendanz Spuhler

2011 mit Beginn dieses Besucher-Tagebuchs hätte ich nicht gedacht, daß ich mal eine Intendanz erlebe, die mir gerade zu Beginn so wenig Freude, Spaß, Spannung und Inspiration gibt. Wie fasst man Unbehagen in Worte? In der Übertreibung liegt die Anschauung! Das Folgende ist oft subjektiv zugespitzt und verarbeitet und beschreibt persönliche Eindrücke und Erfahrungen.
 
Richtige Strategie, diskutable Taktik  
Die Strategie der Intendanz Spuhler ist nachvollziehbar und bewegt sich in erwartbaren Bahnen mit den üblichen Zielen: Bürgerakzeptanz und genug Zuschauer. Niemand zweifelt daran, daß man heute den Mehrwert von Hochkultur (also einer kulturellen Tätigkeit, für die man als Künstler jahrelange Ausbildung und Übung benötigt, um ihren Ansprüchen gerecht zu werden) neu vermitteln und ihre Werke erklären muß. Daß man das bereits seit vielen Jahren im Staatstheater macht, also Kinder und Jugendliche an das Haus binden will und nun auch 2011 eine eigene Sparte gegründet hat, ist selbstverständlich.
Daß man aber auch im Kernprogramm stärker als zuvor differenziert und gewisse Zielgruppen bevorzugt, ist ein unschöner Aspekt. Bei der Umsetzung hat man aber innerhalb von drei Jahren seine Vorgehensweise bereits geändert. Man experimentiert und sucht nach den adäquaten taktischen Maßnahmen, um sich irgendwie für und durch ein neues Publikum zu legitimieren. Allerdings ergibt sich bei einigen der Eindruck, daß an gewissen Stellen die Qualität gelitten hat.
           

Zwischen Gold und Blech
Nach drei Jahren der Intendanz Spuhler gibt es sehr gute Qualitäten am Badischen Staatstheater: das Ballett ist die unumstrittene Lieblingssparte des Karlsruher Publikums, die Badische Staatskapelle und der Staatsopernchor sind weiterhin auf sehr hohem Niveau und bestätigen an unzähligen Abenden der Spielzeit ihre Leistungsstärke. Der scheidende Operndirektor Schaback und Chefdramaturg Feuchtner setzten selten gespielte Werke auf den Spielplan und entdeckten bspw. Berlioz' Trojaner neu für Karlsruhe. Man hat auch einige sehr gute Opernsänger, viele von ihnen bekannt und beliebt bei den Zuschauern. Man hat so gute Voraussetzungen - umso überraschender, daß die ersten Jahre des neuen Leitungsteams Spuhler / Linders / Schaback so holprig und unrund verliefen. Der frühzeitige Abgang der Operndirektion, wenig variable Monatsprogramme, künstlerische Enttäuschungen und ein immer wieder ratloses Schauspiel ohne Ausstrahlung und ohne neue Hauptrollenschauspieler. Wo andere zu Beginn der Intendanz ein Feuerwerk abbrennen, um das Publikum zu begeistern und überzeugen, tastete die neue Intendanz nach Orientierungshilfen und hatte kein eigenes künstlerisch starkes und überzeugendes Konzept. Ein Training-on-the-job, bei dem man zum Glück bewies, daß man lernfähig ist und immer wieder Korrekturen vornehmen mußte und dennoch in diskutablen Wertigkeiten verharrte.

Wiederkäuer des Alltags
Im Frühjahr 2014 räumte Intendant Spuhler in einem Radiogespräch des SWR2 ein, daß er es vor der ersten Schauspiel-Spielzeit 2011/12 in Karlsruhe an Sorgfalt und Vorbereitung mangeln ließ. Man setzte auf unbekannte Klassiker und laut Spuhler: "Wäre ein toller Spielplan gewesen für Heidelberg, war der falsche Spielplan für Karlsruhe." In dieser Aussage findet man ein grundlegendes Mißverständnis des Teams Spuhler/Linders, denn es war nicht primär der falsche Spielplan. Der Hauptgrund für den Mißerfolg war, daß man sich auf der Bühne viel zu langweilig und uninspiriert präsentierte. Die erste Spielzeit (mehr dazu auch hier) hatte kein Feuer und ein bemerkenswertes Defizit an Originalität und Phantasie. Entscheidend gebessert hat sich diese Situation auch in den letzten beiden Jahren noch nicht: Erfolge und Zuschauergewinne durch Schüler sowie mit Musicals und Komödien kaschieren nur oberflächlich die Schwächen im Schauspiel. Die obige Schlußfolgerung hatte allerdings Folgen für die beiden folgenden Jahre: man versuchte teilweise die mangelnde Kreativität und Bühnenwirkkraft durch verkrampfte Versuche zu überspielen, sich "gesellschaftlich relevant" zu  präsentieren. Das Schauspiel fühlte sich unter Legitimationsdruck und antwortete nicht künstlerisch, sondern versuchte sich gegenüber den Theaterablehnern als Wiederkäuer zu legitimieren. 

Verwertung statt Wert
Man hat in Karlsruhe in den letzten drei Jahren eine ganz neue Richtung eingeschlagen, indem man den auch immer diskutablen künstlerischen Wert des Theaters stärker als zuvor dem Gebrauchswert untergeordnet hat. Man sucht nach Anschluß und läuft einer vermeintlichen Relevanz hinterher. Thematisch ist man mit grobmaschigen Schleppnetzen im medialen Zeitgeistmeer zwischen Mode und Trend unterwegs: NSU und NSA, Fußball und Demenz, Unruhen in der Ukraine oder Türkei - Themen werden wiederkäuerisch verwertet, aber den überzeugenden künstlerischen Ausdruck findet man dazu zu selten, die inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung überzeugt oft nicht und bietet keinen Mehrwert zur TV-Berichterstattung. Verwertungstheater ist damit oberflächlich gesehen nie belanglos, aber oft langweilig, berechenbar und im Kern wenig künstlerisch. Es geht dabei weniger um Ausdruck als um Mitteilung, nicht um Differenzierung, sondern um Teilnahme, man sieht auf der Bühne Gesinnung, nicht Inspiration. Theater, das vortäuscht, etwas beitragen zu können und doch nur Ratlosigkeit verbreitet. Man erregt zwar Medienaufmerksamkeit mit ungewöhnlichen Themen, doch das ist mehr äußerer Effekt, keine innere Wirkung. Immer wieder fällt mir als Zuschauer im Badischen Staatstheater Gottfried Benns Bemerkung ein, daß das Gegenteil von Kunst mit "gut gemeint" zutreffend beschrieben ist.

Programmatisches Eunuchentum
Wieso die Betonung des Programmatischen anstelle des Künstlerischen? Früher waren die Verhältnisse klarer. Der Intendant war als Operndirektor direkt in künstlerischer Verantwortung. Man hatte Persönlichkeiten als Spartenleiter, die ihr Programm verantworteten und überwiegend auch selber künstlerisch tätig waren, sich mit eigenen Inszenierungen bereits profiliert hatten und sich selber mit ihrer Inszenierungshandschrift dem Publikum zur Diskussion stellten.
Heute sind die Verantwortungen in Oper und Schauspiel weniger deutlich. Man hat mehr Dramaturgen (die man im Schauspiel nach vielen Mißerfolgen nun bereits komplett ausgetauscht hat), Spartendirektoren und dazu einen Intendanten ohne künstlerische Spartenverantwortung, der aber betont, daß keine Entscheidung ohne ihn gefällt wird. Alle zusammen haben etwas gemeinsam: keiner ist direkt künstlerisch tätig und inszeniert, sondern es wird überwiegend theoretisiert, administriert und delegiert. Um dieses eklatante Manko zu kaschieren, hat man die Wertigkeiten neu gepolt: Künstler scheinen eher Manövriermasse zu sein, man richtet das Programm nicht mehr überwiegend nach Ihren Stärken und Vorzügen aus, sondern lässt die Praxis lieber der Theorie folgen. Auf die Bühne kommt bevorzugt, womit sich die Intendanz profilieren möchte, nicht das, wodurch sich der Künstler profilieren kann.
Was ist Zweck, was ist Mittel? Für Spuhler/Linders liegt der Zweck in der gesellschaftlichen Relevanz, der Gesinnung und damit in der Wahl des entsprechenden Stücks, das Mittel dazu ist die Bühnendarstellung. Das geht auch anders: der Zweck des Theaters ist in anderer Sicht Schauspieler und Szenerie, Bühnengeschehen und Inspiration, Stimmung und Spannungsbögen, Anschauung und Augenblick, Kolorit und Atmosphäre, Form und Fülle. Das Mittel hierzu ist die Stückauswahl.

Die Balance des Badischen Staatstheaters hat sich verschoben. Das Manko dieses künstlerischen Eunuchentums der Intendanz (sie wissen, wie es geht, aber sie können es nicht) machte sich immer wieder bemerkbar: Man wirkt zu oft gespiegelt und abgeleitet, nicht ursprünglich und unmittelbar. Im Spielzeitheft 2014/15 findet man die Bemerkung, man sei "stolz" auf den Spielplan. Na gut, man sollte der Intendanz ihre eunuchische Freude und den Wunsch nach Anerkennung gönnen. Aber die Wahrheit liegt auf der Bühne, mittel- und langfristig gewinnt und bindet man Zuschauer durch die künstlerische Qualität. Kurzfristig kann man auch die Heißluftballons der gesellschaftlichen Relevanz steigen lassen, die aber immer nur kurze Flüge ermöglichen.

Die Spuhler-Doktrinen: Positionierungen im Überblick
Parolen sind eingänglich und einfach und ein traditionelles Vorgehen, um schnell oberflächliche Zustimmung zu generieren, aber die Gültigkeit dieser Doktrinen sollte man immer wieder hinterfragen und auf Ihre Auswirkungen auf den künstlerischen Betrieb untersuchen. Die ersten drei Jahre geben keinen Anlaß, um an die Nachhaltigkeit dieser Aussagen zu glauben.
  • "Theater für alle" - sozialpolitisch:
    Das bedeutet nicht mehr für alle gleichzeitig, sondern für als fehlend und relevant erkannte Zielgruppen. Spezielle Minderheiten bekommen ein Extra-Programm. Wer als Zuschauer nicht aufpasst, landet in einer Vorstellung, in der man sich schnell fehl am Platz vorkommt. Aus soziologischer Sicht bevorzugen Besucher Milieus der Selbstähnlichkeit; man muß aus dieser Perspektive also Spezialthemen und gelegentlich die Banalität des Alltags auf die Bühne bringen, um Publikum zu gewinnen. Andere werden ausgegrenzt, da man den Glauben an die integrierende Kraft des Theaters verloren hat. Die Zugkraft des traditionellen Abonnements kann dadurch verloren gehen.
     
  • "Theater für alle" - architektonisch
    Spuhler will ein Haus, das idealerweise 24 Stunden/Tag geöffnet ist. Ein Bücherladen und ein Café soll es bspw. zukünftig geben. Peter Spuhler betonte im oben erwähnten SWR2 Gespräch, daß sich die Theater seines Erachtens nicht mehr als gesellschaftlich relevanter Ort behaupten können und sie deshalb zum "Kulturzentrum" umgebaut werden sollten. Da hört man leider ein starkes Mißtrauen gegenüber der eigenen Kunstform heraus: Theater sollte zukünftig weniger Theater sein und sich als überdimensionierter Treffpunkt den Partikularinteressen widmen und diesen eine Bühne geben. Eine ironische Betrachtung dazu findet sich hier.
       
  • Erst, wenn sich das Theater für die Gesellschaft interessiert, wird sich die Gesellschaft für das Theater interessieren
    Kunst an sich reicht nicht, sie muß gesellschaftlich relevant sein? Die oft ausverkauften Vorstellungen des Balletts leben also von ihrer gesellschaftlichen Brisanz? Riccardo Primo und die Händel-Festspiele waren aufgrund ihre gesellschaftlichen Aktualität erfolgreich? Und wieso verschwinden die vielen "gesellschaftlich relevanten" Theaterstücke im Studio nach wenigen Aufführungen mit minimalster Publikumsresonanz schnell vom Spielplan?
    Es gibt Etikette, die sich die Theater gerne anheften: politisch, radikal, mutig, engagiert, .... Eine indirekte Rechtfertigung und ein schlechtes Gewissen scheinen daraus zu sprechen. Man täuscht gesellschaftliche Relevanz vor, da man der Kunstform an sich nicht vertraut. Zweckkunst also anstelle von Kunstzweck. Selbstbewußte und kreative Theater würden andere Begriffe wählen, die die Autonomie der Kunst betonen.
      
  • "Radikales Schauspiel"
    Schaut man sich das Programm für 2014/15 an, frägt man sich unweigerlich, was daran radikal sein soll. "Nur zwei Klassiker" lautet ein Teil der Antwort und als Publikum muß man anhand der bisherigen immer wieder hilf- und ratlos wirkenden Versuche in der Vergangenheit zum aktuellen Zeitpunkt dankbar sein, daß man sich seltener an Klassiker wagt. Aber "radikal"? Das Schauspiel war was Ausstrahlung und Qualität angeht zu Beginn auf radikaler Talfahrt. Gelegentliche Höhen haben sich leider noch nicht als dauerhafter Anstieg erwiesen.
    Das Schauspielprogramm für 2014/15 korrigiert übrigens frühere Einseitigkeiten und ist ausgeglichener als zuvor. Spuhlers "radikal" kann man als Theaterfan in der kommenden Spielzeit als "normal" bezeichnen.
      
  • Die "übliche Erwartungshaltung" in der Oper
    In der Hinsicht kann man ein Interview mit Intendaten Spuhler zur zukünftigen Entwicklung auch als Warnung verstehen: "Im Schauspiel gibt es vor allem zeitgenössisches Theater, und in der Oper gibt es nur noch eine Produktion, die so den üblichen Erwartungshaltungen entspricht." Die übliche Erwartungshaltung des Karlsruher Publikums in der Oper entsprach man bisher durch Qualität: mit hochklassigen Sänger und starkem Chor und Orchester. Ob die Intendanz überhaupt weiß, wessen und welche Erwartungshaltung sie nicht mehr entsprechen will?
  
In der Übertreibung liegt die Anschauung
  

Die Karlsruher Intendanz  ist für meinen Geschmack zu einseitig und dogmatisch und durch obige Zuspitzungen wird es vielleicht dem einen oder anderen anschaulich. Fast keine Diskussion über diese Standpunkte würde aufkommen, wenn man qualitativ mithalten könnte. Sanierung, Neubau. "migrantisches" Theater, Kinder- und Jugendtheater .... schön und gut, aber als Zuschauer interessiert mich das nur marginal, denn die Wahrheit liegt auf der Bühne.  Noch nie zuvor habe ich so ungern Vorstellungen in Karlsruhe und lieber in anderen Städten besucht, wie in den letzten drei Jahren im Schauspiel. Die Paradoxie des Theaters liegt darin, daß es sowohl Asyl gegen als auch Verständnis für alltägliche Zumutungen bieten soll. Diese Balance stimmt für mich in Karlsruhe aktuell nicht mehr.
    
Anzeichen der Besserung(?)  
Es gibt immer wieder Anzeichen der Besserung, ihre Lernfähigkeit hat die aktuelle Intendanz bereits bewiesen und sich bemüht, Defizite in den Griff zu bekommen: man versucht auch den breiten Publikumsgeschmack zu treffen und Programmschemen anzupassen, im Schauspiel hat man nach drei Jahren bereits alle Dramaturgen ausgetauscht, acht neue Schauspieler kommen (leider gehen eher die guten statt die durchschnittlichen Kandidaten), in der Oper wird die neue Operndirektion ab 2016 ihre Handschrift zeigen können. 2016 wird sich allerdings auch Birgit Keil aus der Ballettdirektion zurückziehen und man kann nur hoffen, daß Intendant Spuhler dann nicht nur gesellschaftliche relevante Ballette auf der Bühne zulässt und die bisherige Erfolgslinie ideologisch beengt umbaut. 

Fazit:
Dem Badischen Staatstheater fehlt bisher ein zugkräftiger Ideenmotor, es mangelt an Kreativität, Phantasie und Ausstrahlung, man ist zu einseitig: Zweckkunst statt Kunstzweck, Verwertung statt Wert, Formeln statt Formen, Nutzen statt Ausdruck, Gesinnung statt Inspiration - Publikumszufriedenheit will diese Intendanz durch die Zusammenstellung der Speisekarte erreichen, die Qualität und Präsentation des Produkts sind hier nicht immer die Hauptsache. Fast Food im Kulturzentrum mag eine Zukunftsperspektive sein, aber es gibt auch ein Publikum, das nicht den Alltag in Inszenierung, Programm und Gebäude gespiegelt haben muß, sondern das sucht, für das man als Badisches Staatstheater bisher stand: das Besondere und das Außergewöhnliche.

1 Kommentar:

  1. Die Kommentarfunktion ist vorübergehend deaktiviert. Aktuell kann ich aufgrund terminlicher Engpässe leider kaum Zeit für Nachrichten und Fragen verwenden und werde erst im Juli wieder erreichbar sein.

    @ Theatralikus, Klaus, Vaukah und 'Anonym': vielen Dank für die freundlichen und unterstützenden Worte! In dem Zusammenhang scheint es also eine Leidensgenossenschaft unter einigen Fans und Freunden des Badischen Staatstheaters zu geben.

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