Mittwoch, 28. Mai 2014

Sissi (Ballett) - Gastspiel der Staatsoper Hannover, 27.05.2014

Der Leiter des Hannoveraner Balletts Jörg Mannes hat schön öfters für das Badische Staatsballett choreographiert (Liaison Dangereuses, Das Bett der Giulia Farnese und zuletzt in Mythos). Birgit Keil hat ihn nun im Rahmen der Karlsruher Ballettwoche mit einer seiner Produktionen eingeladen und das Ballett der Staatsoper Hannover bekam langen Applaus für eine starke Leistung bei seinem Karlsruher Gastspiel.

Frauen unter Zwang
Sissi - das ist doppelte Tragik: denn Jörg Mannes zeigt das Unglück zweier Frauen, die im deutschen Bewußtsein kaum zu trennen sind: das der österreichischen Kaiserin Elisabeth und ihrer berühmtesten Verkörperung Romy Schneider, die beide durch ihre frühen Rollen unwiderruflich ihr Leben prägten und zur öffentlichen Person wurden. Dem Korsett gesellschaftlicher Erwartung und Beobachtung zu entkommen war beiden dauerhaft nie möglich und hinterließ seine Spuren. Jörg Mannes lässt Sissi und Romy teilweise gleichzeitig tanzen - doppeltes Leid ist hier kein geteiltes Leid. Beider Söhne sterben, beide zerbrechen daran. Die Hofetikette ist für Sissi, was die Reporter für Romy Schneider darstellten (Mannes schafft hier eine große klaustrophobische Szene zu Honeggers Pacific 231, in der Romy ständig verfolgt wird). Wie Romy Schneider sich in Interviews als Meisterin der Selbstdarstellung zeigte, so treibt Sissi Sport und hielt sich in Form, um in der äußeren Darstellung ihrer Rolle gewachsen zu erscheinen. Es werden überraschende Parallelen zwischen beiden Frauen gefunden.

Szenenfolge statt Handlung
Als Handlungsballett kann man Sissi nicht bezeichnen, es fehlt der große innere Zusammenhalt. Vielmehr reiht die Choreographie Ausschnitte und Gefühlslagen aneinander, die mehr künstlich als organisch verknüpft sind. Wer kein Wissen um Sissi (historisch und filmisch), Romy Schneider und Alain Delon hat, wird es schwer haben. Auch musikalisch ergibt sich nicht der große homogene Eindruck. Es beginnt harmonisch und humorvoll mit Ausschnitten und Anklängen an den berühmten Film: eine getanzte Jagdszene mit Hirsch zu Strauß' Donau-Walzer. Doch danach ist Schluß mit lustig. Der gelegentlich weiterhin durch das Bild trabende Hirsch wirkt eher als Fremdbild und Verfremdung, musikalisch werden intime und wehmütige Momente mit Gustav Mahlers Rückert- und Kindertoten-Lieder beschworen. Ein Höhepunkt am Ende des ersten Akts zeigt zu Mahlers Um Mitternacht die Tänzerin Anastasiya Bobrykova mit großer Eleganz und scheinbarer Leichtigkeit mit beeindruckender Kraft an Ringen tanzend. Eine große tänzerische und physische Leistung. Bravo! Sissi lässt Jörg Mannes von vier unterschiedlichen Tänzerinnen tanzen - der Zugang zu ihr ist durch die historische Distanz diffus geworden, die unterschiedlichen Sissis sind Zeugen einer historischen Unwissenheit. Romy hingegen lebt medial durch Filme und Aufzeichnungen weiter und wird nur von einer Tänzerin dargestellt: Catherine Franco hinterlässt als Romy darstellerisch den stärksten Eindruck und hat die wichtigste Rolle.

Romy und Alain
Den  mit Abstand stärksten und größten Moment hat dieses Ballett in seiner längsten Szene zu Beginn des zweiten Akts, einem langen Pas de deux, in dem die Geschichte von Liebe und Leid Romy Schneiders und Alain Delons zum dritten Satz der 4. Symphonie Gustav Mahlers getanzt und erzählt wird. Auch in Hannover kommen die ersten Solisten aus Brasilien, bzw. konkret aus São Paulo: Catherine Franco als Romy Schneider und Denis Piza als Alain Delon tanzen diese lange und grandiose Szene mit vollem Einsatz. Bravo! Beide werden auch in der Ballettgala am 31.05.2014 in Karlsruhe zu sehen sein.

Fazit: Ein schönes Ballett mit gelegentlichen Durchhängern und einem sehr guten Gastauftritt des Balletts der Staatsoper Hannover.

2 Kommentare:

  1. Wolfgang Kiefer28 Mai, 2014 12:46

    Hallo Honigsammler
    Aus Ihrem Kommentar lese ich, was ich selbst empfunden habe. Der Abend hatte seine Stärken dort, wo ein Handlungsballett gezeigt wurde. Das war der zweite Akt. Obwohl ich das Programmheft komplett gelesen hatte, konnte ich die meisten Szenen des ersten Aktes nicht dem historischen Kontext zuordnen. Hier hätten Zwischentitel oder mehr sichtbare Handlung geholfen. Die großen Szenen waren den Abend wert, ein großes Ballett waqr es nicht.

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    1. Hallo Herr Kiefer,
      Sissi mangelte es vor allem im ersten Teil an innerem Zusammenhalt und nicht jede Szene hat mich überzeugt. Auch die langen getanzten Ruhepausen ohne Musik zerdehnten mehr, als daß sie die Spannung bündelten. Aber die einzelnen starken Momente, für mich vor allem direkt vor und nach der Pause, waren den Besuch definitiv wert und Hannover scheint eine sehr gute Ballettkompagnie zu haben. Ein Gastspiel, dessen Besuch sich für mich gelohnt hat.

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