Freitag, 29. November 2013

Hübner/Nemitz - Richtfest, 28.11.2013

Der Vorname war letzte Spielzeit solide gemacht und ein sehr großer Erfolg, die gestrige Premiere von Richtfest steht mehr als gleichberechtigt daneben, ist inhaltlich prägnanter und sollte der nächste voraussichtlich stets ausverkaufte Komödien-Erfolg des Badischen Staatstheaters werden.

Der Heilbronner Lutz Hübner (der zusammen mit seiner Frau Sarah Nemitz als Autoren-Duo schreibt) ist Deutschlands meistgespielter zeitgenössischer Dramatiker und wird zum ersten Mal in Karlsruhe gespielt. Richtfest ist ein Auftragswerk des Schauspielhauses Bochum, wo es im Dezember 2012 sehr erfolgreich uraufgeführt wurde.

Worum geht es (1)?
Um eine Baugemeinschaft. Architekt Philipp hat ein zukunftsweisendes Haus entworfen. Die Interessenten (bestehend aus fünf Parteien und dem Architekten) kommen in freudiger Erwartung zusammen, darunter ein Professor und seine harte PR-Frau, eine Rentnerin, die zwanghaft sammelt und hortet, ein Assistenzarzt und eine angehende (und schwangere) Juristin, ein Beamter und eine Sozialarbeiterin samt pubertierender Tochter, zwei schwule Musiker ... Elf Schauspieler werden benötigt! Doch das Miteinander ist schwerer als gedacht und schnell tun sich Gräben und Abgründe auf, die sich im Verlauf des Stücks als unüberbrückbar erweisen. Nach turbulenten 105 Minuten endet Richtfest als Tragödie, das große Ganze erliegt den Partikularinteressen - der Bau scheitert handgreiflich.

Worum geht es (2)?
Richtfest ist ein Lehrstück über eine Gesellschaft, die keinen Gemeinsinn mehr produziert. Heutzutage lässt man sich scheiden, tritt aus Religionsgemeinschaften aus oder ist nicht darin aktiv, man wird nicht Mitglied in einem Verein, schon gar nicht einer Partei, gesellschaftliche Mitwirkung oder Wohltätigkeit wird zum Randphänomen (sogar Wehrdienst bzw. soziales Pflichtjahr sind abgeschafft), man kennt oft seine Nachbarn nicht und kümmert sich nur um sein eigenes Leben und das der nächsten Angehörigen und Freunde. Über alles andere wird sich nur auf hohem Niveau beschwert und beklagt. Die eigene Bequemlichkeit wird zum Maßstab. Manch einer erkennt sich oder andere in dieser Beschreibung vielleicht wieder.
Das heutige Individuum zeichnet sich oft durch Teilhabeverweigerung aus und fordert die Nicht-in-Anspruchnahme durch die Gesellschaft bei gleichzeitiger politischer Lösung aller Probleme. Wer Steuern zahlt hat also sein Pensum an Pflichten geleistet? Nicht nur wenn es um soziale Gerechtigkeit und das menschliche Miteinander geht, fordert man das staatliche Handeln oder erliegt dem Irrglauben, daß das Bundesverfassungsgericht dafür sorgen soll. Der Staat soll sich in dieser Sicht engagieren, nicht der Bürger.
Wie erzeugt man also wieder Bürgersinn und Solidarität, wie überwindet man Egoismen und erzeugt Gemeinschaft? Richtfest zeigt, wie diese Probleme bereits im kleinen Kreise unüberwindbar werden: Kommunitaristen gegen Liberale oder "Schmarotzer" gegen "Egoisten" - die Hoffnung auf eine funktionierende Nachbarschaft zerschellt, doch keine der beiden Parteien wird vom Autor bevorzugt oder bloß gestellt.
 
Was wird gezeigt?
Mit Richtfest zeigt Regisseur Dominique Schnizer mit bezwingender Folgerichtigkeit wie ein Traumhaus als Luftschloß endet. Seine Inszenierung hat Tempo und Charakter, Prägnanz und Witz. Wie bei einem Abendmahl, einer Gemeinschaft voller Hoffnung und Glaube, positioniert er die Figuren zu Beginn. Ein heller Einheitsraum wird durch Tische und Bänke je nach Situation zu unterschiedlichen Treffpunkten der Baugemeinschaft. Richtfest ist auf der kleinen Studio-Bühne eng dimensioniert, doch dadurch fühlt man sich fast als Teil der Baugemeinschaft. Mit seismographischem Gespür werden die Auswirkungen der individuellen Stoßwellen auf ihre Umgebung verfolgt.

Ein homogenes Ensemble aus elf Schauspielern trägt das Geschehen und zwar so, daß man teilweise gar nicht weiß, wem man seine Aufmerksamkeit auf der Bühne schenken soll. Es fällt schwer, jemanden hervorzuheben, doch die Routiniers tragen den Abend in besonderem  Maße und haben die meisten Lacher auf ihrer Seite, vor allem der großartige Gunnar Schmidt als redseliger Soziologieprofessor (eine so treffend gespielte Figur, daß man sie am liebsten in einer Fortsetzung wiedersehen möchte. BRAVO!), André Wagner als sich nach Gemeinschaft sehnender Finanzbeamter und Lisa Schlegel als dessen kleinbürgerliche Frau (an beide ebenfalls BRAVO!), aber auch Sophia Löffler als überforderte Schwangere prägt immer wieder das Geschehen. Durch geschickte Pointierung der Gegensätze werden fast alle Figuren zu Typen, wenn auch gelegentlich ein Abgleiten ins Klischeehafte nicht vermieden wird.

Fazit: Nicht verpassen und frühzeitig Karten sichern! Richtfest wird bald ausverkauft sein.
Der starke Jubel und lange Applaus hatte noch einen anderen schönen Aspekt. Nach zwei Jahren mit so vielen mißlungenen und flachen Theatermomenten erlebt man bei diesem Abend endlich mal wieder etwas, was früher selbstverständlicher war: tolles und witziges, anregendes und spannendes Theater. Man gönnt es erleichtert den Schauspielern und freut sich als Zuschauer für sie und sich.

PS: Gerade nach den desaströsen Kritiken für Endstation Sehnsucht ist diese Komödie ein vorübergehender Befreiungsschlag für das Karlsruher Schauspiel und eine Inszenierung, die man weiterempfehlen und mehrfach sehen kann!

Besetzung & Team:
Ludger, Professor für Soziologie: Gunnar Schmidt
Vera, PR-Frau einer Stiftung: Ursula Grossenbacher
Charlotte, Kneipenwirtin i.R.: Annette Büschelberger
Christian, Assistenzarzt: Matthias Lamp
Mila, Juristin im Referendariat (im Mutterschaftsurlaub): Sophia Löffler
Holger, Beamter: André Wagner
Birgit, Leiterin einer Jugendhilfe: Lisa Schlegel
Judith, Auszubildende: Florentine Krafft
Philipp, Architekt: Thomas Halle
Frank, Leiter einer Musikschule: Tim Grobe
Michael "Mick", Cellist: Jan Andreesen

Regie: Dominique Schnizer
Bühne & Kostüme: Christin Treunert

2 Kommentare:

  1. Eine sehr erfrischende und witzige Inszenierung. Schnizer gehört zu den Regisseuren, die gerne nach Karlsruhe zurückkommen können.
    Meine Star war gestern ebenfalls Gunnar Schmidt. Hoffentlich wird Benefiz ähnlich interessant.

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    1. Vielen Dank und ja, Benefiz verspricht ein ähnliches Erlebnis. Ich bin guter Hoffnung...

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