Dienstag, 4. Oktober 2011

Peter Sloterdijk - Du musst dein Leben ändern, 03.10.2011

An diesem Wochenende nahm auch das Schauspiel des Karlsruher Staatstheaters Fahrt auf: neben der sympathischen Produktion 100% Karlsruhe und dem ersten Karlsruher Dramatikerfestival startete auch die erste Repertoire-Inszenierung, die keinen für die Bühne geschriebenen Text zum Thema hatte, sondern das Buch des Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk: "Du musst dein Leben ändern". Der Buchtitel ist wiederum aus Rilkes Gedicht "Ärchäischer Torso Apollos" entnommen.
Es handelt sich bei Sloterdijks Buch um eine Ethik, das über einen Zeitraum von über 2000 Jahren die Geschichte des Menschen als Geschichte eines übenden und sich künstliche und symbolische Immunsysteme schaffenden Wesens beschreibt und analysiert.

Damit stellen sich vorab folgende Fragen: Wie und wieso inszeniert man eine philosophisch-ethische Geschichtsanalyse? Wie vermittelt man einen über 700 Seiten langen philosophischen Text? Wie spricht man ihn, damit das Publikum den Thesen folgen kann? Wie trifft man den Tonfall des Autors?
So viel vorab: der Regisseur Patrick Wengenroth konnte keine dieser Fragen zufriedenstellend beantworten.

Zum Wieso: Sloterdijk stellt das Motto für die Spielzeit und hat die Schirmherrschaft für die Karlsruher Bühne übernommen. Als bekanntester Karlsruher Bürger, international renommierter Philosoph, Essayist und ZDF Moderator ist er prädestiniert, um ihn einem größeren Karlsruher Publikum vorzustellen.

Zum Wie: jede Aufführung wird an einem anderen Ort stattfinden. Die Premiere war in der alten Oberpostdirektion in den Räumen der Volkswohnung und hatte Seminarcharakter. Das Publikum sitzt an U-förmig aufgestellten Tischen.
Vier Schauspieler (Antonia Mohr, Lisa Schlegel, Klaus Cofalka-Adami, Stefan Viering) lesen und spielen Ausschnitte von Sloterdijk (nicht nur aus seinem Buch) und kontrastieren diese mit Texten von Beckett (Endspiel),  Nietzsche (Zarathustra), Goethe (Prometheus), Eva Hermann und eventuell anderen, die ich nicht identifizieren konnte. Im Tonfall wird variiert zwischen Seminar, Vorlesung, Selbsthilfegruppe, Krisen- und Katastrophenwarnungen, Pathos, Ironie, Rührseligkeit und Geschwätz.

Schnell zeigte sich das Hauptproblem des Abends: einen philosophischen Text nicht nur zu sprechen, sondern Inhalte auch zu vermitteln oder sie durch ergänzende Autoren erfolgreich einzuordnen.
Als reines Schauspiel betrachtet ist der Text meistens zu spröde und erschließt sich nicht auf Anhieb und aus dem Zusammenhang gerissen. Eine zentrale und am leichtesten lesbare Passage aus Sloterdijks Buch, die Gedichtinterpretation Rilkes, deutete an, zu was eine überlegtere Textvermittlung fähig gewesen wäre, doch Wengenroth vergab die Chance, indem er das Pathos übertrieb und die Aussage zur Nebensache machte. Ein kurzer Höhepunkt schlich sich ein als Lisa Schlegel einen Text (m.E. von) Eva Hermanns sprach und Text und Interpretation auf der Höhe ihrer Möglichkeit zeigte.
Obwohl der Regisseur versuchte, witzig zu sein, war der Abend verkrampft und durchweg nicht amüsant. Zu oberflächlich die ironische Distanz, zu aufgesetzt die nachdenklichen Passagen, unerträglich die zur Entspannung geträllerten Selbsthilfe-Lieder, zu rührselig und inauthentisch die Pathos-Verdichtungen, zu platt die regelmäßig eingebauten Versprecher, zu unüberlegt und inhomogen also die Textvermittlung.

Resultat: Sloterdijks Thesen kamen nur selten an, das Publikum konnte den Argumentationen nur schwer folgen. Schnell machten sich Langeweile und Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Es lag nicht an den Schauspielern, die einen sehr guten und engagierten Eindruck hinterließen, dass man durchweg den Eindruck hatte an einem belanglosen und überflüssigen Abend teilzunehmen.
Wer Sloterdijks Buch nicht kennt, wird es an diesem Abend nur sehr begrenzt kennenlernen und sehr wahrscheinlich einen falschen Eindruck davon bekommen. Wer es kennt, erfährt nichts Neues. Der Abend wird dem Buch weder inhaltlich noch als Rezension gerecht.

Zum Glück gab es nach einer Stunde Rotwein für das Publikum; der half die zweite Hälfte zu überstehen.
Fazit: nicht empfehlenswert.