Sonntag, 16. Dezember 2012

Delaporte/de la Patellière - Der Vorname, 15.12.2012e

Es war eine lange Durststrecke bis es gestern endlich mal wieder eine Komödie im Karlsruher Schauspiel zu sehen gab. Dabei entschied sich die Schauspielleitung nicht für Bewährtes oder Bekanntes, sondern für das Allerneuste: Die Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière (beide eigentlich Drehbuchautoren) hatte im Herbst 2010 in Paris Premiere und wurde ein sehr großer Erfolg und ist inzwischen auch verfilmt. Die deutsche Erstaufführung erfolgte gerade erst im November 2012 in Hamburg und Der Vorname ist nun wenige Wochen später auch im Studio des Badischen Staatstheaters zu sehen. Nach der Karlsruher Premiere scheinen die in der Presse kursierenden Vorschußlorbeeren für Der Vorname nicht ganz verdient.

Worum geht es?
Ein gemütliches Abendessen unter Freunden in wohlsituiertem Milieu mit akademischen Hintergrund. Vincent (Jonas Riemer) und seine schwangere Freundin Anna (Sophia Löffler) sind eingeladen bei Vincents Schwester Elisabeth (Ute Baggeröhr) und deren Ehemann Pierre (Robert Besta), der auch Vincents Jugendfreund ist. Zusätzlich ist auch Claude (Matthias Lamp) anwesend, Elisabeths Jugendfreund. Vincent erzählt, daß er seinem Sohn den Vornamen Adolphe geben will und verweist auf ein literarisches Vorbild (der Roman Adolphe von Benjamin Constant aus dem Jahr 1816), bei den anderen wird eher ein österreichischer Ursprung assoziiert und Pierre sieht es als einen faschistischen Akt mit Bekenntnischarakter. Und damit beginnen die Streitigkeiten. Im Verlauf der nächsten 100 Minuten tauen die immer wieder hitzig aufflammenden Diskussionen bisher eingefrorene Konflikte auf und man teilt sich in wechselnden Koalitionen mit, was man schon lange auf dem Herzen hatte. Dabei kommt es zu unerwarteten Wendungen.

Eine Boulevardkomödie?

Der Vorname ist eine Komödie mit ungewöhnlich langer Anlaufphase, die in Karlsruhe noch dadurch verlängert wird, daß der Regisseur das Tempo herausnimmt, indem er bspw. die Regieanweisungen der Autoren als Text sprechen lässt, textlosen Stellen Raum und Zeit gibt (z.B. ein wenig witziger Kampf mit einer Buchregalleiter) und jeder Schauspieler im Verlauf des Stückes ein französisches Lied singt. Der lange Anfang plätschert so vor sich hin. Regisseur Dominik Günther inszeniert den Vornamen also nicht als Boulevardkomödie: er setzt nicht auf Tempo und hohe Pointenfrequenz und nimmt die Figuren des Sückes teilweise sogar sehr ernst. Bestes Beispiel ist die Rolle der Elisabeth: wo man im Sinne einer Komödie eine frustrierte Ehefrau erwartet, deren Abschlußmonolog als virtuos-komischer Wutanfall inszeniert wird, bleibt sie in dieser Regie die liebevoll-chaotische und geduldige Hausfrau, deren Abschlußszene absolut gar nichts zum Lachen bietet: sie ist bitterernst und voller Frustration - die Komödie wird zum Minidrama. Ute Baggeröhr hat hier eine starke ernste Szene. Der Regisseur lässt Baggeröhr danach ein wütendes  Lied singen, um wieder die Kurve zurück Richtung Komödie zu bekommen.
Die turbulenten Stellen entwickeln sich nicht immer organisch: Um das immer wieder entschleunigte Stück in Schwung zu halten, inszeniert der Regisseuer teilweise zu stark forcierte Höhepunkte, bei denen er seine Figuren zu Karikaturen werden lässt.

Fazit:
  • Alle Schauspieler sind formidabel. Bravo!
  • Eine nette und gute Komödie, die aber nicht das Risiko eines Lachmuskelkaters birgt.
  • Ein Höhepunkt sollte in Erinnerung bleiben: Matthias Lamps Chanson wird bei einigen Gänsehaut erzeugt haben und er sollte unbedingt einen Liederabend bekommen!

PS: Ein genauerer Vergleich mit Yasmin Rezas Der Gott des Gemetzels (im Badischen Staatstheater in der Spielzeit 2007/2008, u.a. mit den großartigen Lisa Schlegel und Jörg Seyer) liegt nahe und wäre interessant. Rezas Komödie war witziger, böser und in unnachgiebigerer Haltung. Aber es gibt für Vergleiche auch ein anderes Vorbild: Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, das in einer sehr guten Inszenierung 2006/2007 in der Insel zu sehen war. Der Vorname scheint dagegen die deutlich leichtgewichtigere und kalorienreduzierte Variante zu sein.

Besetzung und Team:
Elisabeth (Babou) Garaud-Larchet: Ute Baggeröhr
Pierre Garaud, Elisabeths Mann: Robert Besta
Claude Gatignol, Elisabeths Jugendfreund: Matthias Lamp
Vincent Larchet, Elisabeths Bruder, Pierres Jugendfreund: Jonas Riemer
Anna Carvati, Vincents Lebensgefährtin: Sophia Löffler

REGIE: Dominik Günther
BÜHNE & KOSTÜME: Heike Vollmer
MUSIK: Jan S. Beyer & Jörg Wockenfuß
Aus dem Französischen übersetzt von Georg Holzer

2 Kommentare:

  1. Da hätte man deutlich mehr an Spaß rausholen können. Um an eine frühere Formulierung von Ihnen anzuknüpfen - Mit Humor hat man im Karlsruher Schauspiel so seine Schwierigkeiten. Stellt sich für mich die Frage: wollen sie es nicht oder können sie es nicht?

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    1. Lassen Sie mich Ihre Aussage und Frage etwas ausführlicher beantworten: Ich zweifle nicht an den Schauspielern - mit denen bin ich sehr glücklich.
      Jan Linders musste für seine erste Saison in Karlsruhe viel Prügel einstecken und seine Verunsicherung war am Theaterfest deutlich zu spüren - da war sein Auftritt zu verkrampft um Lockerheit bemüht. Diese Saison ist deutlich eine Besserung und Anpassung an eine normale Durchschnittlichkeit zu beobachten. Den großen Höhepunkt hat er noch nicht auf die Bühne gebracht und nur dadurch, daß Dylan und Alice ständig ausverkauft sind, steht seine Sparte scheinbar sehr gut da. Der Erfolg der Musicals relativiert die Mißerfolge der ersten Spielzeit.
      Der Regisseur Dominik Günther hat bisher von allen Mehrfach-Regisseuren der neuen Schauspielleitung den besten Eindruck hinterlassen - aber alle seine Produktionen (Immer noch Sturm, Verrücktes Blut und jetzt Der Vorname) haben Ruhe-Pausen und/oder Längen. Stilistisch scheint er kein auf Tempo spezialisierter Komödienregisseur zu sein und das merkt man. Ob er nicht will oder nicht kann, will ich damit gar nicht beantworten.
      Ich stimme Ihnen also zu: mehr Spaß und Vergnügen wäre möglich gewesen. So war es ein netter Abend, aber der Pfeil weist in letzter Zeit nach oben. Mit Schnitzler, Shakespeare und Kleist liegt die Messlatte im kommenden Jahr allerdings sehr weit oben und entsprechend sind bei mir die Erwartungen hoch.

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