Freitag, 27. April 2012

Hommage an Georg Krause und die Kunst der virtuosen Eskalation

Aufgrund einer Erkrankung verpasste Georg Krause leider die Premiere von Jakob der Lügner. Sehr schade für das Publikum, denn seine Auftritte sind immer besonders beachtenswert.

Krause ist ein besonderer Schauspieler, der zwei Talente besitzt, die hervorragen:
Ich habe noch nie jemanden auf der Bühne gesehen, der wie er latent bedrohlich wirken kann. Vor einigen Jahren spielte er den Kommissar in Martin McDonaghs "Der Kissenmann". Das Stück wurde damals in der Insel inszeniert und hatte leider nur wenige Zuschauer. Vielleicht kam es zu früh, denn es nahm atmosphärisch einen Trend vorweg, dem heute viele gerne folgen: es war ein düsterer Psychokrimi, der an den skandinavischen Stil erinnerte. Wer gerne solche Krimis liest, hätte das Stück sehen sollen. (Anregung an das Staatstheater: Krimifans gibt es anscheinend viele; inszeniert doch mal was für diese Leser und vermarktet es gut). Der Kissenmann war szenisch sehr bedrohlich und aufreibend: einige Zuschauer mussten dabei schwer durchatmen. Georg Krause hatte einen starken Anteil an dieser unterschwellig eskalierenden Beklemmung.

Krause hat aber noch eine weitere, außergewöhnliche Stärke: wie kaum ein anderer kann er Situationen auf die komödiantische Spitze treiben und die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung, Melancholie und Komik halten. Seine Auftritte in Shakespeares Sommernachtstraum oder als Orgon in Molieres Tartuffe oder zusammen mit Jörg Seyer in "Die Affäre Rue de Lourcine", waren buchstäblich Zwerchfell erschütternd und witziger als alles andere, was ich bis dahin und später auf einer Bühne sah. Dabei hält er immer ein virtuoses Maß; seine Darstellung entgleitet nicht in überbelichtete Extreme.

Ob nun als Brandner Kasper oder Wendelin Schlüter (Big Money), Dorfrichter Adam oder Malvolio (Was ihr wollt), ob er sich auf der Bühne ungewollt in den Finger schneidet (bei der Premiere von Lukas Bärfuss' "Der Bus") oder erfolglos versucht, Sekt aus einer Flasche zu trinken (bei der Premiere von "Benja der König" nach Isaak Babel): Krause macht aus seiner Rolle Figuren, die in Erinnerung bleiben. Er hat es  für mich in den letzten 20 Jahren wie kaum ein anderer geschafft  mit seinen Rolleninterpretationen Maßstäbe zu setzen. Seine herausragende Stärke liegt für mich in der virtuosen Eskalation von Situationen.

Unter den vielen sehr guten Schauspielern, die in den letzten Jahren in Karlsruhe zu sehen waren, gehört er zu denen, die einen besonders hohen Erinnerungswert haben.