Montag, 17. Oktober 2011

Berlioz – Les Troyens, 15.10.2011

Große Erwartungen und viel Vorfreude lagen bei der ersten Opernpremiere der neuen Intendanz in der Luft und es wurde ein langer (ca 5 Stunden, 20 Minuten), abwechslungsreicher, spektakulärer und sehr spannender Abend.

Die fünfaktige Oper ist zweiteilig. Der erste Teil Die Einnahme Trojas umfasst die ersten beiden Akte. Die Trojaner in Karthago die Akte drei bis fünf.

Die Einnahme Trojas beginnt mit schweren Atemstößen. Der Geist des trojanischen Helden Hektor steht auf dem leeren Schlachtfeld, schwer atmend als ob auch die Geister noch Troja verteidigt hätten,  und nun nach dem scheinbaren Abzug der Griechen erschöpft den Horizont absuchend. Bühnen- und Kostümbildner Christoph Hetzner hat für den ersten Teil eine karge, archaisierende Bühne geschaffen. Die vorherrschende Kostümfarbe ist weiß, die nur kurz vor Ende auftretenden Griechen sind in Schwarz. Die Farbe des Blutes und der Toten ist blau. Die zentrale Rolle ist Hektors Schwester Kassandra, die die Trojaner vergeblich vor dem griechischen Pferd warnt und am Ende des zweiten Aktes die trojanischen Frauen anführt, die den Freitod wählen, um der griechischen Gefangenschaft zu entgehen. Regisseur David Hermann hat für den ersten Teil der Oper eine durchweg überzeugende und spannende Inszenierung geliefert, die auf spektakuläre Publikumswirkung setzt. Um die räumliche Wirkung der Chormassen zu verdeutlichen, lässt Hermann den Zuschauerraum bespielen: der Chor geht über die Zuschauertüren ein und ab und singt teilweise in den Gängen zwischen den Zuschauern. Das trojanische Pferd, dargestellt durch einen anthrazitfarbenen, zeppelinförmigen Ballon, schwebt am Ende des 1. Aktes wie eine dunkle, unheilbringende Wolke über den Trojanern.
Christina Niessen als Kassandra wurde vom Publikum einhellig bejubelt; ihr Partner Chorebus, gesungen von Armin Kolarczyk sowie Chor und Orchester und alle anderen Sänger, die im ersten Teil nur kleinere Rollen haben, ebenso. Als nach ca 90 Minuten der erste Teil vorüber war, ging das Publikum sehr zufrieden, teilweise euphorisch in die einstündige Pause.

Die Trojaner in Karthago ist der Titel der Akte drei bis fünf. Die Szenerie ist modernisiert: wohlhabende, blühende Landschaften, moderne Architektur versinnbildlichen den Aufstieg der Stadt. Die vorherrschende Kostümfarbe ist grün mit gelegentlichen Blütendrucken. Die Trojaner kommen in einer Wohlstandswelt an. Das erste Bild des dritten Aktes, eine jubelnde Massenszene wird komplett im Zuschauerraum gesungen. Die sich nun entwickelnde, tragisch endende Liebesgeschichte zwischen dem Anführer des Trojaner Aeneas und der karthagischen Königin Dido fällt in der Inszenierung leider ab. Große Szenen, wie das Septett und Liebesduett im 4. Akt sind routiniert umgesetzt, doch ohne den Zauber der Faszination zu vermitteln, die die Musik bereithält. Größter Schwachpunkt die letzte halbe Stunde: Didos Freitod wird trotz guter Bühnenidee und großartiger Sängerin von der Personenregie verschenkt und statt zum tragischen Ende zum inszenatorischen Langeweiler. Die Trojaner in Karthago kommen über gute Ansätze nicht hinaus, zu unbestimmt und beliebig geraten viele Szenen.
Als Dido ist die neu in Karlsruhe engagierte Sängerin Heidi Melton zu hören – sie ist der Star des Abends: eine große, wunderschöne Stimme. Frau Melton singt so souverän, so scheinbar mühelos, daß es ein Vergnügen ist, ihr zuzuhören. Das Publikum überschüttete sie am Ende mit Brava-Rufen.
John Treleaven als Aeneas war an diesem Abend leider indisponiert. Man hätte ihm einen Gefallen getan, wenn man zu Beginn des Abends angekündigt hätte, dass er gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe ist. So wurde einer der Höhepunkte der Oper, das Liebesduett im 4. Akt  zur Qual, bei der man, statt das Duett zu genießen, angespannt abwartete, ob Treleaven alle Passagen singen kann. Das Publikum reagierte etwas ungehalten auf diese Einbuße und 2-3 Buh-Rufer störten die gute Atmosphäre des Abends. Eine Ansage hätte das deutlich gemildert.
Doch der Abend hatte neben Heidi Melton noch andere große Stimmen. Konstantin Gorny und die beiden neuen Tenöre Eleazar Rodriguez und Sebastian Kohlhepp, der zu Beginn des 5. Aktes die schönste und anrührendste Arie der Trojaner bravourös sang, begeisterten. Der neue Bassist Avtandil Kaspelli als Hektor überzeugte stimmlich und mit großer Bühnenpräsenz. Alle weiteren Sänger in den kleineren Rollen ebenso.

Überhaupt war es musikalisch ein Triumph: 13 Sänger des Ensembles und 3 kleinere Rollen wollten besetzt sein. Berlioz Monumentaloper verlangt ein sehr gutes Orchester und großen Chor: Dirigent Justin Brown und der von Ulrich Wagner einstudierte Chor (ca. 90 Sänger) gehörten zu den klaren Gewinnern des Abends!

Fazit: Die Einnahme Trojas ist kurzweilig, auf sehr hohem musikalischem Niveau und uneingeschränkt empfehlenswert! Die Trojaner in Karthago hat zwar inszenatorische Längen, dafür aber die fesselndere Musik und großartige Sänger. Der komplette Abend ist so eindrucksstark, dass man die Bilder und Szenen noch lange gegenwärtig hat. Ein geglücktes, spektakuläres Ereignis – unbedingt anhören!